Sri Lanka ist schon allein kulinarisch eine Reise wert. Doch auf der ehrenwerten Insel, so die Übersetzung, liegen Natur- und Kulturschätze in einer Konzentration in meist nur kurzer Entfernung voneinander wie kaum sonst wo auf der Erde – Dschungel, Elefanten, Tempel, Paläste, Strände und der Ozean.
Natürlich kann man sich sei nen Linsen-Curry auch zu Hause kochen. Den Palmhonig für den Nachtisch kriegt man in jedem Asia-Shop ums Eck. Und selbst das Reismehl für die Egg Hoppers, diese zu flachen Schüsselchen gewölbten Crêpes, in denen sich ein Spiegelei erst so richtig wohlfühlt, sollte keine ernst zu nehmende Beschaffungshürde sein. Nur: Das alles unter Kokospalmen genossen, den lauen Atem des Indischen Ozeans in der Nase, ist doch eine ganz andere Sache.
Sri Lanka ist allein schon kulinarisch eine Reise wert. Die Insel, der Größe nach drei Viertel von Österreich, aber viel äquatornäher südöstlich dem Südzipfel Indiens vorgelagert, bringt halbwegs alles hervor, was Genießern und ihren Zulieferern in den Küchen Freude bereitet: eine reiche Gewürzpalette von Currybaumblättern über Kardamom bis Zimt, dazu Fleisch, Fisch, Geflügel und jede Menge diverser Gemüse. Und von der kleinen Garküche am Straßenrand bis zur gehobeneren Hotellerie weiß man mit den guten Gaben einer großzügigen Natur auch ziemlich ordentlich, will sagen: üblicherweise ziemlich würzig, umzugehen.
Allerdings, nur die wenigsten von uns werden nur des Essens wegen einen Flug von gut neun Stunden auf sich nehmen, und mag der noch so komfortabel sein. Die ehrenwerte Insel, so die wörtliche Übersetzung des heutigen Namens, hat mehr zu bieten, als auf einen Teller passt. Hat doch die mehrhundertjährige Zeit vor der Eroberung durch die Portugiesen im 16. Jahrhundert eine ganze Reihe ehemaliger Hauptstädte ehemaliger lokaler Königreiche hinterlassen, deren prachtvolle Ruinen ästhetisch sehr viel mehr hergeben als mitunter andernorts noch so wunderbar Intaktes. Und auch das Leben unter diversen Kolonisatoren wie das nach dem Erreichen der Unabhängigkeit 1948 hat nicht nur Mord und Brand über die Insel und ihre Bewohner gebracht.
Mit Letzterem freilich hat sie sich in unser Gedächtnis zuletzt besonders nachhaltig eingeschrieben: Mehr als ein Vierteljahrhundert lang, bis 2009, tobte der Bürgerkrieg zwischen der Mehrheitsbevölkerung, den Singhalesen, und der Minderheit der Tamilen. Mittlerweile jedoch hat man zu einer vielleicht skeptischen, aber jedenfalls friedlichen Koexistenz zurückgefunden. Und selbst die tiefen Wunden, die der Tsunami im Dezember 2004 dem Land riss, sind heute weitgehend verheilt. Wer heute nach Sri Lanka reist, findet sich in einem multiethnischen, multireligiösen Multi-alles-und-Jedes wieder, das zwar nach wie vor – wie soll man sagen – eher straff regiert wird, doch andererseits mit einer Vielfalt an Attraktionen aufwarten kann, die nicht so bald ihresgleichen auf so vergleichsweise engem Raum andernorts hat. Dem Naturfreund etwa werden zuvorderst Naturreservate angelegen sein: etwa der Minneriya-Nationalpark in der nördlicheren Landesmitte. Dass man daselbst auf einer Jeepsafari nicht nur den Sri-Lanka-Elefanten, eine Unterart des Asiatischen Elefanten, zumindest kleinherdenweise begegnen kann, sondern auch Reiher, Pelikan oder Marabu, wird die Jeepsafaristen ebenso erfreuen wie der Umstand, dass ihre einheimischen Chauffeure sich in jeder Lage zu helfen wissen, und sei man noch so scheinbar aussichtslos im Nationalparkmorast stecken geblieben.
Was ausschaut wie die natürlichste Natur, hat – wie in vielen anderen vergleichbaren Fällen – einen einigermaßen unnatürlichen Kern: Die 30 Quadratkilometer des Sees, dem der Nationalpark seine prachtvolle Fauna dankt, sind künstlich angelegt – und zwar schon im dritten nachchristlichen Jahrhundert – als eines von mehreren Reservoirs, die der Bewässerung des Binnenlandes dienten.
Womit klargestellt wäre, dass wir uns auf uraltem Kulturgebiet bewegen. Tatsächlich liegt der Minneriya-Nationalpark mitten im sogenannten kulturellen Dreieck Sri Lankas, was die Freude am tropisch Kreatürlichen auf kurzem Weg mit Kunstgenuss verbinden lässt: am nächstliegenden mit einem Besuch der Felsenfestung Sigiriya oder vielmehr dessen, was Wind und Wetter einer gut eineinhalbtausendjährigen Geschichte, diverse Nachnutzungen inklusive, davon übrig gelassen haben, bis britische Archäologen Anfang des 20. Jahrhunderts die noch allemal imposanten Reste freizulegen begannen. Der so gut wie unbesteigbar scheinende, 200 Meter hohe Magmablock, der sich da aus dem Dschungel wuchtet und auf seinem zwei Hektar messenden Gipfelplateau einst einen ganzen Palast trug, soll einem vatermordenden Königssohn als Fluchtort vor der Rache seines Bruders gedient haben.
Was sich auf – wie rund um – den Monolithen an Sehenswertem ausbreitet, etwa die Handvoll erhaltener, auf den Fels gemalter anmutiger Damen, die uns barbusig – und streng von Sicherheitsleuten bewacht – entgegentanzen, ist jede Anfahrtsmühe wert.
Apropos Straßen: Sich in diesem Linksverkehr-Gewusel aus Radfahrern, Lkw, Pkw und den allgegenwärtigen Tuk-Tuks als Mitteleuropäer zurechtzufinden, im Wechselspiel aus beherztem Voranpreschen und schleunigem Nachgeben, wenn’s wirklich eng wird, dürfte nur den Wagemutigeren unter uns vorbehalten bleiben.
Andererseits bieten sich auch fahrerische Vergnügungen, die man in einer Weltgegend, die unsereiner vor allem mit Palmenstrand und Meer verbindet, nicht unbedingt erwarten würde: grandiose Bergstraßen. Bis zu 2500 Meter hoch türmt sich das Gebirgsland, das Innere von Sri Lankas Südhälfte dominierend, und in seiner Mitte wartet die alte Hauptstadt Kandy mit bröckelnd-postkolonialem Charme – und einem der wichtigsten Heiligtümer des Buddhismus: jener Tempelanlage, die der Überlieferung folgend den linken Eckzahn Buddhas birgt. Die Inbrunst, mit der die Gläubigen am Schrein vorbeidefilieren, der ihrer Überzeugung nach einen so wirkmächtigen Schatz birgt, wird noch den kühlsten Skeptiker nicht unberührt lassen.
Wem das alles noch zu wenig ist, der kann bei den Veddas, Sri Lankas letzten Indigenen, in Erfahrung bringen, wie es sich anfühlt, im 21. Jahrhundert dem Lebensstil der altvordersten Altvorderen treu bleiben zu wollen; kann auf Teeplantagen und in Teefabriken das Geheimnis des Ceylon-Tees und seiner Qualitätsstufen lüften, der Gewinnung von Zimtrinde beiwohnen – oder einfach an wunderbaren Sandstränden baden gehen.
Und apropos Erholung: Was läge näher, als im einzigen Land der Welt, das Ayurveda als komplettes Gesundheitssystem staatlich anbietet, seinem westlich gequälten Körper nach östlicher Weisheit Gutes zu tun? Ob mit, ob ohne Meerblick, ob streng oder in wellnessweicher Version: Ayurveda-Hotels und Ayurveda-Resorts mit eigenen Ayurveda-Ärzten, Ayurveda-Köchen, Ayurveda-Masseuren und allem sonstigen Ayurveda-Drumunddran stehen bereit, Stress- und anderweitig Geplagte nach traditioneller Heilkunstsitte zu umsorgen. Schließlich, so ein bisserl Wissen vom Leben kann ja niemandem schaden – ob mit, ob ohne Cocktailglas in der Hand.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Reise“, 9. April 2016