Martin Schwab: Wischi, Waschi, Wunde, Bier


„Wenn das Burgtheater angegriffen wird, dann verteidige ich das mit Händen und Füßen, auch gegen die sogenannten Inländer.“ Martin Schwab über Claus Peymann, die „Entösterreicherung“ des Burgensembles, Fritz Muliar, die „Dreigroschenoper“ und die neuen Staubsauger der Staatsbühnen. Ein Gespräch.


Man sagt ihm nach, unter den großen Schauspielern des Burgtheaters sei er der „facettenreichste und subtilste“. Er ist jedenfalls die ruhigste, die stillste Größe unter diesen Großen, eine, die sich auch für kleine Partien nicht zu schade ist: Martin Schwab, Schwabe des Jahrgangs 1937 und seit 1987 in Wien engagiert, ist Ensemblespieler aus Überzeugung. Mit Claus Peymann verbindet ihn eine jahrzehntelange Zusammenarbeit, beginnend in Peymanns Stuttgarter Tagen; mit dem Burgtheater verbinden ihn mittlerweile unzählige Auftritte in verschiedensten Stücken, von Bernhards „Theatermacher“ über Büchners „Woyzeck“ bis zu Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“. Die nächste Premiere: 27. Juni, Akademietheater, ein von Tamás Ascher gestalteter Ionesco-Abend.


Martin Schwab, Sie sind seit fast zehn Jahren in Wien, Sie zählen zu den meistbeschäftigten Schauspielern des Burgtheaters, in diesem Juni haben Sie beispielsweise 15 Abende in fünf verschiedenen Produktionen. Der bemerkenswerten Anzahl von Bühnenauftritten steht eine weitgehende Absenz im öffentlichen Bewusstsein gegenüber. Sie sind kein umschwärmter Star. Stört Sie das?

Da möchte ich Sie sofort fragen: Was ist ein Star? Der, der sich seine Eier, der sich sein Nest selber aussucht? Das Wort Star mag ich nicht. Natürlich können innerhalb eines Ensembles nicht alle Leute Stücke tragen, und ich glaube ohne falsche Eitelkeit sagen zu dürfen: Ich kann Stücke tragen, ich will auch Stücke tragen. Aber ich sehe mich als Ensemblespieler, ich spiele ja auch mittlere und kleinere Rollen, mit denen ich zeigen will, dass ich an ein Ensemble glaube. Star: Das bedeutet auch Privilegien. Und wenn die Privilegien der anderen eine Ensemblearbeit verhindern, dann muss man das überdenken.

Wie steht’s in diesem Zusammenhang um die Arbeit an der Burg?

Ich habe zeitweise das Gefühl gehabt, dass Aufführungen, die es verdient hätten, dass man sie öfter spielt, dass die nicht angesetzt werden konnten, weil irgendwelche Stars, irgendwelche Gäste gewisse Rücksichtnahmen oktroyiert haben.

Man denke an „Ivanov“.

Das war bei „Ivanov“ so, auch bei „Clavigo“. Bei vielen Stücken, in denen Gäste auftreten, denn da bestimmt der Terminplan der Gäste, wann die angesetzt werden. Wobei ich nichts gegen Gäste habe. Aber mitunter ist es fast berufsschädigend, wenn Produktionen nicht gezeigt werden können, weil Gäste keine Zeit haben.

Sie haben in einem Interview erwähnt, Ihre Traumrolle sei der Cyrano von Bergerac. Der Cyrano ist im Zusammenhang mit der Frage Star versus Ensemblespieler eine interessante Figur: Er ist einer, der sich sehr stark zurücknimmt zugunsten eines anderen, einer, der wohl in der Lage wäre, den Part, den er dem anderen überlässt, den Part des großen Liebhabers, selber zu übernehmen, der sich das aber nicht zutraut. Eine Gemeinsamkeit mit Ihnen?

Ich bin natürlich jemand, der in vorderer Reihe stehen will, aber gleichzeitig bin ich auch gern im Hintergrund. Jetzt werden Sie sagen: Das geht nicht auf einmal. Es ist gewissermaßen ein Schicksal, dass man vielleicht gerne auch etwas für andere macht. Außerdem wird der Cyrano insofern belohnt, als das Stück nach ihm benannt ist, erstens, und zweitens kommt, wenngleich erst am Ende des Lebens, die Einsicht bei Roxane, dass diese ganzen Briefe und die ganze Liebe nicht von dem scheinbaren Helden, sondern von Cyrano stammen.

Das sind posthume Ehren.

Ja. Und es ist tragikomisch. Ich mag das Tragikomische. Das Komisch-Tragische und das Tragikomische.

Gebrochene Figuren.

Ja. Und ich hoffe, dass ich selber gebrochen bin, weil ich glaube, dass jeder Mensch beide Seiten in sich hat; nur einseitig Licht zu spielen ist langweilig. Wie auch nur Schatten zu spielen langweilig ist. Das entsprechende Verhältnis, das ist das Leben.

Brauchen Sie Harmonie?

Ich bin von tiefster Seele harmoniebedürftig. Das heißt nicht, dass ich die Disharmonie scheue wie der Teufel das Weihwasser, aber das Grundsätzliche, dass Harmonie das ist, was zu unserer Mitte führt, zum eigentlichsten, ursprünglichsten Wesen, das lasse ich mir nicht gerne rauben, und ich arbeite daran, dass das auch um mich so ist – eigentlich aus Eitelkeit, damit’s mir selber besser geht.

Das ist ein Kontrastprogramm zu Claus Peymann, mit dem Sie viele Jahre Zusammenarbeit verbindet. Der scheint vor allem vom und im Konflikt zu leben.

Das kann sein. Wobei er nie, auch nicht ein einziges Mal, versucht hat – oder versuchen würde -, eine Disharmonie in mich hineinzubringen, damit ich besser, anders, größer, kleiner werde. Vielleicht ist es bei ihm verborgen, und er freut sich, dass ich das habe. Oder er sagt: Wenn’s einer hat, ist es genug.

Die Zeit, in der Sie ans Burgtheater kamen, war alles andere als harmonisch. Da machte gerade das Schlagwort von der „Entösterreicherung“ des Burgensembles die Runde. Sie waren ein Teil dieser „Entösterreicherung“.

Das gibt’s auch heute noch, solche verbalen Angriffe, ob das nun in Leserbriefen zum Ausdruck kommt oder in irgendwelchen dubiosen Artikeln von Herrn Muliar. Da sag‘ ich a: Damit muss man leben. Und b: Es gibt so viele Gegenbeispiele von Menschen, von denen ich weiß, dass sie mich mögen und schätzen. Ich glaube auch, dass das ein bisschen hochgeputscht wurde. Wobei das dann immer an der Person von Peymann ausgemacht wird, und das ist dann wirklich seine Angelegenheit. Den Schuh von Peymann zieh ich mir nicht an. Den privaten Schuh.

Persönlich betroffen haben Sie sich in dieser Situation nicht gefühlt?

Natürlich habe ich mich betroffen gefühlt, aber dann habe ich mich besonnen auf die weitaus überwiegenden positiven Sachen, und dann – das ist kein Selbstbetrug – zählt das fast nichts.

Welche positiven Dinge?

All die vielen, vielen Begegnungen, die man hatte im Theater, mit Kollegen und Kolleginnen, auch außerhalb des Theaters: Ich habe hier Freundschaften geschlossen, die nichts mit dem Theater zu tun haben, von denen ich glaube, dass es Lebensfreundschaften sind. Dann die vielen Publikumsgespräche, in denen man auch sehr viel zurückbekommt, da interessieren mich die negativen Stimmen doch gar nicht mehr. Und wenn das Burgtheater angegriffen wird, dann verteidige ich das mit Händen und Füßen, auch gegen die sogenannten Inländer.

Es gab doch direkte Attacken gegen Sie. Im Herbst 1988 kandidierten Sie bei den Wahlen für die Ensemblevertretung, und bald kursierten Gerüchte, die Direktion versuche die Wahlen zu Ihren Gunsten zu beeinflussen, Sie seien vielleicht gar eine Art Trojanisches Pferd der Direktion.

Das war dummes Zeug. Trojanisches Pferd? Dazu bin ich viel zu selbstständig, viel zu eigen. Ich habe eine gewisse Treue. Aber der Gesamtblick, der ist mein eigener, den lasse ich mir von keinem, von wirklich keinem nehmen. Das geht gar nicht.

1994 wurden Sie dann in die Ensemblevertretung gewählt.

Robert Meyer hat sich als Ensemblesprecher aufstellen lassen, ich kandidierte als Vertreter und habe – glaube ich – die meisten Stimmen als Vertreter bekommen. Und als der Robert dann 1995 aus persönlichen und emotionalen Gründen – aus berechtigten Gründen – sagte: Ich mach’s nicht mehr, da hätte ich dasselbe tun müssen, denn meine Emotionen waren genau dieselben. Nur meine Geschichte im Verhältnis zu dieser Theaterleitung ist ein bisserl anders. Und jetzt ruht alles.

Dieses ganze Ensemblevertretungspapier ist nichts wert. Es ist nur so viel wert, wie der Gegenpart zulässt. Das sind Wischiwaschi-Paragrafen. Das ist kein Mitbestimmungspapier. Das ist nicht einmal ein Mitsprachepapier. Ich komme vom Mitbestimmungstheater, ich weiß, was das ist, und ich bin gegen ein Mitbestimmungstheater, das geht gar nicht. Auf dem Schiff gibt’s einen Kapitän, der muss sagen, wo’s langgeht. Aber dass man die Beziehung zur Ensemblevertretung so einseitig auslegt, wie es unser Direktor macht, das hält kein Mensch aus. Ich hoffe, dass in einer zukünftigen Zeit in einer anderen Form eine Ensemblevertretung installiert wird – eine für beide Seiten fruchtbare.

Wird das unter Peymann möglich sein?

Nein. Ich glaube auch, er will’s nicht.

Warum?

Wenn eine Direktion denkt, die Ensemblevertretung will nur aushorchen oder will nur reinregieren oder will, dass die Direktion etwas sagt, was sie noch nicht laut sagen darf, dann ist sie doch froh, wenn sie so jemanden nicht hat. Da kann sie sich die Zeit sparen.

Sie haben sich in der Bochumer Zeit von Claus Peymann getrennt. Warum?

Ganz einfach: Stuttgart und Bochum, das waren insgesamt acht Jahre mit Peymann. Und da habe ich dann in Bochum gesagt: Ich muss mein Alphabet und mein Einmaleins überprüfen, ich muss woanders hingehen. Adolf Dresen wurde Schauspieldirektor in Frankfurt. Den habe ich gefragt, weil mich dieser Mensch interessierte, seine Denkart, seine Unabhängigkeit als Regisseur.

Und da habe ich meinen Vertrag in Bochum nicht verlängert und bin nach Frankfurt gegangen. Dass Peymann traurig war, dass ich weggegangen bin, dass er das als eine Art Ehebruch angesehen hat, das ist sein Bier gewesen, das hat bei ihm eine Wunde aufgerissen. Und es war nicht die Zeit, die diese Wunde heilte, nein, Thomas Bernhard wollte, dass ich im „Theatermacher“ mitspiele, und so kam alles Weitere.

Was wird von der Ära Peymann am Burgtheater bleiben?

Von dieser Ära wird bleiben, dass das Burgtheater dann 13 Jahre einen ganz, ganz außergewöhnlichen Direktor gehabt haben wird, einen Direktor, der, indem er sich in Szene setzte, dem Theater einen öffentlichen Stellenwert verschaffte, den es vorher vielleicht noch nicht hatte. Ich glaube auch, dass der Peymann, wenn er noch einmal anfangen könnte, viel offener auf die Menschen, die da sind, zugehen würde, dass er sich viel schneller mit ihnen vertraut machen würde, dass ihm viele Berührungsängste dadurch erspart blieben und dass sich Dinge entwickeln würden, auf die wir leider verzichten mussten.

Bleiben Sie unter einem Direktor Bachler am Burgtheater?

Ich verlängere meine Verträge grundsätzlich nur von Jahr zu Jahr. Mein jetziger Vertrag läuft naturgemäß im Jahr 1998 aus, da werde ich sehen, was 1999 bringt. Und der neue Burgtheaterdirektor, der muss mich nicht übernehmen, er muss mit mir Gespräche führen, auf die ich mich freuen würde; wenn er’s nicht macht, dann bin ich halt nicht verlängert.

Es wird dem neuen Burgtheaterdirektor schwerfallen, einen Spielplan ohne Martin Schwab zu machen. Sie sind in so vielen Stücken besetzt, man kann auf Sie eigentlich nicht verzichten.

Ich bin nicht der Einzige, der 15 Vorstellungen hat im Monat. Wobei ich sagen möchte: Ich würde – glaube ich – das Burgtheater verlassen, wenn ich nichts zu spielen hätte. Ein Schauspieler möchte doch spielen. Ich kann jeden verstehen, der unzufrieden ist, weil er nichts spielt. Ich bin auch so spieleitel, dass ich nicht so ohne Weiteres auf eine Rolle verzichten würde zugunsten eines anderen. Es sei denn, es würde auf einer ganz persönlichen Ebene an mich herangetragen. Grundsätzlich ist eine Direktion dafür verantwortlich, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler, die sie engagiert hat, ihrem Vertrag gemäß auch eingesetzt werden. Dann wird keiner mit Klagen herumlaufen.

Es gibt in Ihren wenigen Interviews sehr melancholische, sehr skeptische Worte zur Zukunft des Theaters.

Es wird ja jetzt viel von Strukturveränderungen geredet im Burgtheater; da wird gesagt, das Theater wird dann geführt wie eine GmbH oder so, und es gibt einen gewissen Zuschuss, und ansonsten ist man selber für sein Geld verantwortlich, die Mehreinnahmen, die man hat, die bleiben im Haus, da kann man sich auch einmal einen neuen Staubsauger leisten. Ich habe die Befürchtung, dass das dann ein Spielplan wird, der garantiert, dass die Leute reingehen. Das hab‘ ich auch schon einmal so formuliert: In dem Moment, wo ein Theater die „Dreigroschenoper“ spielt, da muss man schon aufpassen. Das ist ja bei uns auch so. Diese – wie ich finde – nicht geglückte Aufführung, die ist immer voll. Das ist ja schlimm. Und vielleicht geglückte Aufführungen, Aufführungen, mit denen man einen Autor durchsetzen will, die werden entweder nicht möglich – oder sie werden mit Ach und Krach subventioniert durch so seichte Dinge. Ein voll subventioniertes Theater hat den Auftrag, Kultur zu pflanzen. Und ich hoffe, dass das nicht verloren geht durch die neue Struktur.

Würden Sie einem jungen Menschen heute raten, Schauspieler zu werden?

Ich würde nie jemandem davon abraten, in dem Wissen, dass man jemanden, der wirklich zum Theater will, nicht abhalten kann. Der macht’s trotzdem. Ich habe einen kleinen Lehrauftrag am Reinhardt-Seminar, und da weise ich die Studentinnen und Studenten darauf hin, wie schwierig das ist und wie verantwortungsvoll – und dass der Beruf nicht dazu dient, eigene Befindlichkeiten zu pflegen. Das ist wie eine Mission, und die Bühne ist eine Kanzel. Glaubwürdigkeit muss man jeden Tag erkämpfen; wir werden ohnehin ständig sündig, umso mehr muss man daran arbeiten. Und das ist nicht immer leicht.

Was wünschen Sie Claus Peymann auf dem Weg nach Berlin oder wohin immer seine Reise ihn führt?

Ich wünsche ihm, dass er mit Optimismus und ohne Blick zurück im Zorn, ohne irgendeine Empfindlichkeit seinen Weg weitergeht.

Was wünschen Sie Klaus Bachler auf dem Weg in die Burgtheaterdirektion?

Dem wünsche ich, dass er das, was ich von ihm in den Zeitungen gelesen habe, genauso ernst meint, wie er es sagt, und dass er weiß, dass er diese Sachen nicht alleine machen kann, sondern nur mit anderen Menschen gemeinsam.

Was wünschen Sie sich selbst für die nächsten Jahre?

Gelassenheit – und mit Humor zu warten auf das, was kommt.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 7. Juni 1997

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