„Es gibt Leute, die sagen, das ist ein Kameltreiber“

Händler aus Marokko, derzeit Wien-Wieden: Abdou Bimezgane.


Stichwort Karawane: Da denken wir an schwankende Wüstenschiffe unter sengender Sonne, an Kameldung und frische Spuren im Sand, an trockene Wadis und blühende Oasen, an Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, an Karl-May-Pathos und Hollywood-Kitsch, vielleicht auch an manch exotisches Urlaubserlebnis. Wohl kaum freilich denken wir an eine Dachgeschoßwohnung in Wien-Wieden: Hier macht seit einiger Zeit die „Karawane“ des Abdou Bimezgane Station und hält von Berber-Kelims bis zu Tuareg-Amuletten vieles bereit, was werdenden Wiener Wüstensöhnen und -töchtern Freude macht.

„Ich habe eine Firma, gemeinsam mit meiner Frau“, erzählt Bimezgane. „Wir verkaufen Erzeugnisse marokkanischen Kunsthandwerks, hauptsächlich in unseren eigenen vier Wänden, und dadurch entstehen viele Kontakte. Die Menschen kommen, um etwas über Marokko zu erfahren. Und so, wie die Leute von hier etwas über meine Kultur wissen wollen, so will ich etwas über die ihre wissen.“

Seit 1993 lebt Bimezgane die meiste Zeit des Jahres in Wien. Sein Heimatort: Quarzazate, knapp 5000 Kilometer südlich von Marrakesch. Seine Familie? „Konservativ-religiös, eine einfache Familie vom Land.“ Die Schule hat er nicht abgeschlossen: „Ich habe noch vor Ende der Schulzeit zu arbeiten begonnen, um Geld für die Eltern zu verdienen.“ 15 Jahre lang war er im Tourismusbereich als Händler tätig: „Durch den Kontakt mit den Touristen habe ich viel über die Welt erfahren. Ich habe mir immer gedacht, wenn ich einmal nach Europa gehen sollte, könnte es vielleicht schwierig sein, mich anzupassen, denn man braucht eine philosophische Grundlage, einen gewissen geistigen Reichtum in sich, um sich hier eingewöhnen zu können. Das sind ja die ersten Länder, die großen Mächte, und wir sind ja nur die Dritte Welt. Man fühlt sich unterlegen. Aber wenn man den Willen hat, mit den Leuten aus anderen Ländern zu teilen, dann klappt das schon. Der Wille zur Offenheit muss da sein.“

Gut möglich, dass Bimezgane noch heute in seinem Laden in Marokko säße, wäre da nicht jener besondere Tag des Jahres 1991 gewesen. „Es war der 16. Oktober. Daniela, eine Touristin aus Wien, kam in meine Boutique, und da war etwas.“ Ein „Miracle“ nennt Bimezgane dieses Etwas heute, ein Wunder: „Wir haben uns nur 20 Stunden gesehen.“ Dann kamen etliche Monate mit Briefen, Telefonaten, Kurzbesuchen. „Später ist Daniela auf knapp ein Jahr nach Marokko gekommen, um zu schauen, ob wir miteinander leben können. Und wir sind zusammengeblieben.“

Nach Wien fuhr Bimezgane dann zum ersten Mal im Juni 1993, „mit einem Touristenvisum“: „Insgesamt habe ich dreimal ein Touristenvisum gehabt. Ich bin nach Ablauf jedes Visums brav ausgereist – und trotzdem wurde ich immer wieder hingehalten und gequält. In Europa wehrt man sich natürlich gegen illegale Einwanderer, es gibt viele falsche Ehen, das ist beispielsweise in Frankreich gut zu sehen. Aber es ist einfach schlecht, dass nicht unterschieden wird zwischen illegalen Einwanderern und jenen, die ganz legal hierherzukommen versuchen.“

Die ersten beiden Jahre habe man „das große Zittern“ gehabt: „Ein Österreicher kann sich das wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie das ist mit dem ganzen Papierzirkus für die Immigranten; wir haben gefrühstückt, Mittag gegessen, Abend gegessen nur mit dem Gedanken: Was ist los – kriegen wir jetzt endlich diese Papiere? Muss man noch einen Nachweis erbringen? Die meisten unserer österreichischen Freunde waren völlig ahnungslos, wenn ich gesagt habe: Jetzt muss ich wieder ausreisen. Die begriffen das überhaupt nicht. Ich verstehe, dass man das Land nicht einfach für alle öffnen kann. Aber die Regeln und Gesetze sind nicht klar genug. Jeder wird dann doch anders behandelt, es herrschen Unsicherheit und Willkür.“

Mittlerweile hat Bimezgane eine Aufenthaltserlaubnis bis Ende 1998. Die Geschäfte mit seiner „Karawane“ gehen gut. Und im Allgemeinen fühlt er sich wohl in seiner neuen Heimat: „Es gibt schon Leute, die sagen, das ist ein Kameltreiber, aber das berührt mich nicht so sehr. Meiner Erfahrung nach lieben die meisten hier das, was aus dem Orient kommt. Das interessiert sie. Auch in der Monarchie ist es ja hier recht orientalisch zugegangen – und die hiesige Bürokratie hat ja zweifellos noch immer etwas ziemlich Orientalisches an sich.“

Schockiert sei er freilich von der hiesigen Einstellung zum Thema Islam: „Ich bin Mohammedaner, jeder Marokkaner ist Mohammedaner, genauso wie fast jeder hier Christ ist, ob getauft oder nicht, ob praktizierend oder nicht, das ist gar nicht so wichtig. Ich habe feststellen müssen, dass Bezeichnungen wie Araber oder Mohammedaner hier Angst verbreiten; wenn die Leute dann mit mir reden, mich kennenlernen, dann kann ich solche Vorurteile meist überwinden.“

Seine Erfahrungen sprechen dafür, meint Bimezgane, dass ihn „die Menschen hier dann respektieren, wenn ich mit ihnen auch über ihre Angelegenheiten reden kann, wenn die merken, ich interessiere mich für sie.“ Sein Credo: Kulturaustausch. „Deshalb bereitet es mir großen Schmerz, wenn ich auf der Donauinsel bin und sehe, da sitzen die Türken, in einem anderen Eck die Jugos, in einem dritten vielleicht die Roma und im vierten die Österreicher. Jeder für sich. Da muss etwas geschehen. Man kennt einander nicht gut genug.“


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 12. April 1997

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