Gezeichnete Künstler-Biografien: Mietschulden, Maler und ein Aktmodell

Von der Anverwandlung anderer Leben: Die Comic- Biografie findet zu ihren schönsten Ergebnissen dort, wo sie sich bildender Kunst und bildenden Künstlern widmet. Gezeichnetes zu Monet, van Gogh und dem Architekten Karl Schwanzer.

 

Celebrity sells. Kein Wunder: Wenig, was anziehender auf uns wirkte als die Größe, sei sie mit Recht, will sagen, mit Verstand, Fleiß oder – ja, auch – Genialität erworben, sei sie bloß zugeschrieben, sei sie nur angemaßt. Und genauso divergent wie uns all die Reichen und die Schönen, die Geistesathleten und die Sportheroen, die Allmächtigen und die von Schöpferdrang Überquellenden entgegentreten, genauso divergent das Anliegen, das wir an sie und die Beschäftigung mit ihnen jeweils adressieren: von kniefälliger Bewunderung bis zu der – stets berechtigten – Hoffnung, sogar im alle und alles Überragenden den Kleingeist zu entdecken, der wir selbst sind.

Seit je bedient das Biografische beide Pole – wie das reichhaltige Dazwischen. So finden wir die Indienstnahme des Geniekults zugunsten nationalistischer Aufmunitionierung, wie sie unter totalitären Regimen besonders gern gepflegt wird, gerade so wie voyeuristische Enthüllungsepisteln, deren Tröstlichkeit für uns Normalverbraucher sich freilich regelmäßig rasch erschöpft; was hab ich schließlich davon, den Riesen auf mein Zwergenformat geschrumpft zu sehen – ein Zwerg bleib ich ja doch.

Und dann gibt’s da noch jene Biografen, die sich wirklich und wahrhaftig und ganz und gar seriös schlicht mit dem Gegenstand beschäftigen, der sie umtreibt: dem Leben jener Helden und Herrscher, Dichter und Denker, Berühmten und Begnadeten, die sie – aus welchen Gründen immer – in den Bann schlagen. Und welches Mediums sie sich auch immer bedienen, ob Film, ob Fernsehen, ob Literatur oder Hörbuch: nicht selten, dass wir ihnen tatsächlich wertvolle oder jedenfalls erhellende, mitunter völlig überraschende Einblicke in diese Leben verdanken. Und nebstbei übrigens auch ins innerste Wesen der Biografen selbst: Schließlich erzählt allein der Blickwinkel, aus dem sie sich diesen Leben nähern, schon Beträchtliches darüber, was sie selbst trägt.

Auch dem Comic-Künstler ist die Anverwandlung anderer Leben durchaus nicht fremd. Seine womöglich sinnfälligste Erfüllung findet diese Verbindung, fast möchte man sagen: naturgemäß, genau dort, wo es um die Biografien bildender Künstler geht, namentlich jener, die sich der Malerei verschrieben haben. Hier lässt sich auf selbstverständlichste Weise die Darstellung der Vita mit der Darstellung des Werks verschränken, was im Idealfall Wege zu Person wie Schaffen erschließt, wie sie kaum auf andere Art zu erschließen wären.

Eingängig vorgeführt findet sich dieses Prinzip in einem Band, den der Zeichner EFA und der Texter Salva Rubio über Claude Monet gestaltet haben. In „Monet – Auf den Spuren des Lichts“ begnügen sie sich nicht mit der simplen Nacherzählung eines – zugegeben: schon für sich einigermaßen turbulenten – Lebenslaufs. Vom frühen „Blick auf Rouelles“ aus dem Jahr 1858 bis zu den Seerosenbildern später Jahre sind Bildzitate, ja da und dort komplette Kompositionen ins Biografische eingestreut: bis hin zur Nachempfindung von Monets nur in Fragmenten erhalten gebliebenem monumentalen „Frühstück im Grünen“, als Antwort auf Édouard Manets gleichnamiges Gemälde entstanden und einige Zeit später, als Pfand für Mietschulden, im Keller von Monets Hauswirt buchstäblich verschimmelt.

Die Begegnung mit Eugène Boudin und also der Malerei in der freien Natur und die Ablehnung, auf die Monets Werk immer wieder stieß, Geldnöte und private Katastrophen, schließlich erst der schleichende Verlust der Sehkraft, dann die erfolgreiche Operation, die Monet das Augenlicht zurückgewann: Rubio und EFA, beide eigenem Bekunden nach leidenschaftliche Kunstliebhaber, entwickeln das komplexe Porträt einer nicht weniger komplexen Künstlerpersönlichkeit, das lang im Leser nachhallt. Eine ideale Ergänzung zur großen Monet-Retrospektive, die noch bis 6. Jänner in der Wiener Albertina zu sehen ist.

Nicht ganz so ernsthaft, ja im Gegenteil, von einem nachgerade anarchistischen Übermut getragen, was der Serbe Gradimir Smudja schon vor Jahren über einen anderen Großen der Kunstgeschichte zu Papier gebracht hat. In „Vincent & Van Gogh“ folgt er der wunderbar aberwitzigen Idee, nicht van Gogh sei der große Maler gewesen, sondern sein Kater Vincent. Und dass sich dieser unstreitig genialisch veranlagte Künstlerkater als Nachfahre einer ganzen Dynastie anderer Künstlerkater präsentiert, zurückreichend bis zu Rembrandt van Rijn, erlaubt es Smudja, sich kreuz und quer durch die Geschichte der Malerei zu pinseln. Ergebnis ist ein weithin fröhlich-unbeschwertes, auf wundersame Weise freilich dennoch nie respektloses Porträt einer ganzen Epoche, das aus den Regalen des Buchhandels zwar mittlerweile entschwunden, jedoch über Antiquariate problemlos zu beschaffen ist.

Ganz und gar aktuell dagegen: Catherine Meurisse‘ „Olympia in Love“. Die Französin Jahrgang 1980, seit 2001 Mitarbeiterin der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und nur durch Zufall dem Attentat vom Jänner 2015 entgangen, ist im deutschen Sprachraum bisher vor allem mit dem Band „Die Leichtigkeit“ bekannt geworden, in dem sie auf berührend sensible Art die Lebens- und Sinnkrise zu verarbeiten suchte, in die sie im Anschluss an das Morden verfiel. Aus dem merkbar noch völlig unbeschwerten Jahr davor datiert „Olympia in Love“, jüngst von Reprodukt auf Deutsch vorgelegt, ein Werk, das sich dem Thema Kunst auf ganz andere Weise nähert. Nicht ein Künstler steht im Mittelpunkt des Geschehens, sondern die Biografie eines Modells: jener Frau, der Édouard Manet mit seinem Akt „Olympia“ 1865 einen bevorzugten Platz in der langen Reihe öffentlicher Kunstempörungen verschaffte.

Mit der realen Vita des Modells, Victorine Meurent, nachmalig selbst künstlerisch tätig, hält sich Meurisse erst gar nicht lang auf. Sie entwirft einen rein fiktiven Lebenslauf, in den sie bunt aneinandergereiht Querverweise auf insgesamt 50 Meisterwerke aus der Sammlung des Pariser Musée d’Orsay streut. Das freilich nicht, indem sie die Originale imitiert, sondern diese, nur deren grundsätzlicher Komposition folgend, im Detail dem ihr eigenen karikaturhaften Stil anverwandelt. Degas und Rousseau, Courbet und Ingres, van Gogh und Toulouse-Lautrec: Die Kunst des endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts purzelt bunt durcheinander, und wer genau hinschaut, wird in dem weithin französisch geprägten Treiben auch ein Stück Österreich entdecken – einen Sessel von Josef Hoffmann.

Und weil wir solchermaßen schon in heimischen Gefilden angekommen sind: Da wäre auf eine Neuerscheinung hinzuweisen, die sich einem im Comic-Biografischen eher selten anzutreffenden bildenden Metier widmet: der Architektur. „Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft“ hat Benjamin Swiczinsky den Band betitelt, der sich in dankenswerter Weise der Karriere eines der bedeutendsten Architekten der hiesigen Nachkriegsmoderne, Karl Schwanzer, annimmt.

Dass sich ausgerechnet der Animationsfilmer Swiczinsky an diesem Leben und an diesem Schaffen erstmals als Zeichner versucht, ist kein Zufall, zählt doch sein Vater, Coop-Himmelb(l)au-Mitbegründer Helmut Swiczinsky, seinerseits zu der großen Zahl nachma liger Architekturgrößen, die bei Schwanzer an Wiens Technischer Hochschule das Rüstzeug für ihr künftiges Berufsleben erhielten. Swiczinsky junior jedenfalls gelingt ein eindringliches Porträt dieses leidenschaftlichen Lehrers und Schöpfers, dem man nur da und dort anmerkt, dass sich sein Zeichner auf vergleichsweise ungewohntem Terrain bewegt.

Zum Schluss in einschlägiger Sache noch ein Blick in die Zukunft: Für kommenden März hat der Berliner Avant Verlag eine George-Grosz-Biografie des norwegischen Comic-Künstlers Lars Fiske angekündigt. Kunstfreunde – und nicht nur sie – dürfen gespannt sein.

„Presse am Sonntag“, 16. Dezember 2018

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