Gusenbauerweg: Vorsicht, Sackgasse!

Der Gusenbauerweg ist nicht lang: Einen halben Kilometer schwingt er sich durch Mischwald und Ackerflur – hinein in die heimische Einschicht. Eine Erkundung.


Alle Wege führen nach Rom? Kann sein. Der Gusenbauer freilich, der hat nur einen Weg, so viel steht fest. Nein, nicht die Löwelstraße, vom Wiener Ring Richtung SPÖ-Zentrale. Nein, auch nicht die Schauflergasse, vom Michaelerplatz Richtung Bundeskanzleramt. Der Gusenbauer hat, wie könnte es anders sein, den Gusenbauerweg.

Hoch schwingt er sich über der Donau durch Mischwald und Ackerflur, unbefestigt und bescheiden, einer aus dem einfachen Volk heimischer Güterwege – und doch für sich etwas Besonderes: Welcher von seinen Straßenklassengenossen könnte schon auf ein eigenes Straßenschild verweisen, weiße Schrift auf blauem Grund, als Zeichen einer Art urbaner Dignität?

Zugegeben: Ein wenig befleckt blickt es ins Land, das Schild, als habe es nebst Wind und Wetter auch schon allerlei Anwürfen der nicht immer sauberen Art trotzen müssen. Und zugegeben: Es ist nur ein Schild für den ganzen Gusenbauerweg, und der ist immerhin knapp einen halben Kilometer lang; aber würde er denn mehr als dieses eine Schild benötigen? Kein anderer Pfad kreuzt seinen Lauf, keine Möglichkeit, ihn zu verlassen, weit und breit: Wer den Gusenbauerweg einmal eingeschlagen hat, der kann ihm, selbst wenn er will, überhaupt nicht mehr entgehen.

Zu finden ist er leicht: von der Vormarktstraße nicht geradeaus auf den schmucken Marktplatz von Mauthausen, sondern rechts, den Hügel hinan, auf den Kirchenberg abgebogen, vorbei an Weidenweg, Brunngraben, Hochfeld und was die Gegend an straßennamentlichen Weltläufigkeiten sonst noch zu bieten hat; beim Friedhof dann die Hinterbergstraße überquert und auf der Freiholzstraße weiter Richtung Eichenweg. Hat man den erst passiert, dann steht man schon sozusagen mitten im Wald, und da ist es nicht mehr weit, bis links der Gusenbauerweg ins struppige Gehölz abzweigt.

Ein paar Schotterkurven später steht er dann da, der Gusenbauer: massig, mächtig, fast monumental in seiner Einsamkeit. Ein Einschichthof mitten im Hügelland, hinter dem sich die Hänge heben, als gelte es, das wuchtige Geviert vor allerlei auswärtiger Unbill zu schützen. Vor dem Hof das Gusenbauer-Gärtlein, in dem, wohl gehütet, sorgsam ausgewählte Blumen und Gemüse wachsen. Hinter dem Hof nur Äcker, Weiden und eine muntere Schar glücklicher Gusenbauer-Hühner, die gackernd aus der Gusenbauer-Wiese ihre Würmer scharren.

Kein Nachbarhof ist zu sehen, nichts außer Gusenbauer-Grund und Gusenbauer-Boden. Der Gusenbauer ist sich selbst genug, wer zu ihm kommt, dem muss, was ihm genügt, auch selbst genügen. Und wüsste man’s nicht anders, die Welt, sie könnte hier sogar zu Ende sein.

Der Gusenbauer ist an seinem Weg die Nummer eins, und das so gut wie unbestritten: Nichts anderes liegt dem Gusenbauerweg noch an. Und wer’s nicht glaubt, der kann’s, am braunen Holztor festgeschraubt, auch lesen, wieder weiß auf Blau: „Gusenbauerweg 1“ heißt’s unmissverständlich, fast trotzig, als müsste sich da einer dessen noch einmal selbst versichern, was ohnehin nicht zu übersehen ist.

Denn der Gusenbauerweg ist eine Sackgasse. Zum Gusenbauer führt er, zu sonst nichts.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 28. April 2007

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