Zehn Jahre Burg, vergessenst: über Achim Bennings „Texte zum Theater“.
Das konnte ja nicht gut gehen. Da übernimmt einer ein ohnehin als schwierig verschrienes Amt, aus dem sich sein Vorgänger eben erst vorzeitig entfernt hat, und tut gleich einmal kund, dass er die Institution, der er nun vorzustehen hat, insgesamt für „fragwürdig“ und seine nun neue Funktion darin für die „fragwürdigste“ im Fragwürdigen hält. Ein Wunder, dass man mit solcher Haltung Burgtheaterdirektor werden kann, ein noch größeres Wunder, dass man es zehn Jahre lang bleibt, kein Wunder, dass die Nachred, die auf diese zehn Jahre folgt, nicht einmal eine Nachred ist. Der Zweifel, so honorig er jedem geistig Tätigen ansteht: Zum PR-Vehikel in eigener Sache taugt er nicht.
So ist denn Achim Benning der vergessenste unter den vergessenen Burgtheaterdirektoren: Bei keinem anderen stellt sich das dramatische Gefälle zwischen dem Aufruhr, den er zu seinen Direktionszeiten entfachte, und dem anschließenden Versinken (oder vorsätzlichen Versenktwerden?) in allgemeiner Amnesie so steil dar. Die Aggressivität, mit der man dem von 1976 bis 1986 Amtierenden über Jahre publizistisch am Zeug zu flicken suchte, zunächst unter dem Vorwurf furioser Linkslinkerei, dann, au contraire, unter dem Vorhalt, ein reaktionärer Theaterfadling zu sein, wich gleichsam über Nacht einem so laut dröhnenden Schweigen, dass es schon sehr runder Geburtstage bedarf, es zu übertönen.
Oder der Publikation eines Bandes, der die Schriften des gelernten Schauspielers versammelt. „Anlasstexte“ nennt er sie selbst, weil sie durchweg – eben – einem äußeren Anlass ihre Abfassung verdanken: Würdigungen und Nekrologe, Geburtstagsadressen und Vorträge, entstanden zwischen 1976 und 2010, die ihrerseits Anlässe genug geben, über die vergangenen Theaterdezennien nachzudenken.
Beispielsweise über jene scheinbar so unendlich weit entrückten Tage, da politisches Theater noch handfestes Handeln bedeutete und nicht entbehrliche Debatten über ästhetische Petitessen, Tage, in denen das Burgtheater Verfolgten Zuflucht bot, in denen ein Václav Havel und ein Pavel Landovský, Sprecher der Charta 77, der eine künstlerisch, der andere leibhaftig am Wiener Ring eine neue Heimstatt fanden (durchaus zum Missvergnügen gar nicht so weniger hiesiger Kommentatoren). Tage auch, in denen das Wort Vergangenheitsbewältigung noch nicht zur politischen Folklorefloskel verkommen war, rhetorisch akkreditiert, so weit der Verfassungsbogen gerade noch irgendwie reicht.
„Der Rückblick ist nicht mein Geschäft“, meint Benning in einem Zeitungsbeitrag 1976, eine Behauptung, die er in den Folgejahren, und jetzt auf 368 Seiten dokumentiert, inbrünstig Lügen strafen wird: scharfzüngig, wo es angebracht, liebevoll, wo es einzig angemessen ist, stets präziser Beobachter der Zeitläufte, seiner Profession – und seiner selbst. Das Burgtheater gehe, schreibt er bei seinem Amtsantritt, „einer ungewissen Zukunft entgegen“. Und: „Ich hoffe das von ganzem Herzen.“ Besseres könnte für die Burg auch heute nicht zu wünschen sein.
Achim Benning: In den Spiegel greifen. Texte zum Theater. Hrsg. von Peter Roessler. 368 S., brosch., € 22,50 (Edition Steinbauer, Wien)
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 28. April 2012