Ein Verbrechen? Sakko delicti

Als Tommy Hilfiger an meiner Garderobe hing: ein Fall für zwei.


Dieses blonde Haar auf dem Sakko des Ehemanns. Wie oft sind wir ihm begegnet, in Groschenromanen oder Boulevardkomödien, in Fernsehkrimis und Beziehungsdramen, stets verlässliches Indiz für männliche Untreue, von der Ehefrau mit spitzen Fingern vom Revers gezupft: „Und von wem ist das?“

Die Wirklichkeit sieht – wir wissen es – naturgemäß ganz anders aus. Die Wirklichkeit hat mir beispielsweise eine blonde Frau beschert, was blonde Haare auf meinen diversen Sakko-Revers einigermaßen unverdächtig macht. Und wenn doch einmal ein kleiner zwischenmenschlicher Zweifel keimt, dann muss es nicht unbedingt einer gegen den Mann sein – und schon gar nicht auf Grund eines mickrigen Haars, sondern gleich eines ganzen Kleidungsstücks. „Gehört dieses dunkelgraue Sakko in unserer Vorzimmergarderobe dir?“, höre ich meine Frau unschuldig fragen und weiß sofort und ohne hinzusehen, dass es nicht mir gehören kann, weil ich – wozu sonst hätte man Grundsätze – unsere bescheiden dimensionierte Vorzimmergarderobe schon aus Prinzip nicht mit Sakkos verstopfe.

Was folgen muss, ist für erprobte TV-Konsumenten leicht vorzustellen: Nach anfänglichem Leugnen bricht die Frau unter der Last des Sakko-Beweises zusammen, zwei Wochen später wird ihre Leiche von Kommissar Rex in einem pittoresken Wiener Kellerabteil erschnüffelt, ich selbst werde in rasender Verfolgungsjagd auf autoleerer Autobahn von Cobra 11 gestellt (Kommissar Semir montiert bei Tempo 250 den Motor aus meinem Porsche), und Horatio Cane, Crime Scene Investigator aus Miami, überführt mich schließlich anhand einer DNA-Spur, die einst die Hebamme bei meiner Geburt an mir hinterlassen hat. So weit, so absehbar.

In Wahrheit ist mir selbstredend sofort klar, dass gegenständliches Sakko für nichts denn für die Vergesslichkeit eines unserer Gäste Corpus delicti ist. Schließlich: Wo ließe sich im Tagesablauf von zwei Vollerwerbstätigen, zudem mit der Gnade später Elternschaft gesegnet, zwischen Beruf, Kinderpartys, Hausaufgaben auch nur die schmalste Affäre unterbringen? Der Seitensprung, wir sahen es in unzähligen „Derrick“-Folgen, scheint auch heute, in neoliberalen Zeiten, und vielleicht mehr denn je, vornehmes Vorrecht Besserverdienender. Besseralswirverdienender.

Also: Mir gehört es nicht, das Sakko, wem aber dann? Eine erste kriminologische Untersuchung in trautem ehelichem Einvernehmen fördert die Marke Tommy Hilfiger und die Größe Small, doch leider kein Dokument ans Licht. Wer unter unseren Besuchern mag wohl Hilfiger tragen? Und wer um alles in der Welt in Größe Small? Ein Blick nach unten, dorthin, wo auch der Pykniker irgendwann eine Art Taille hatte, lässt mich vermuten, dass Small so gegen Ende 40 eher selten ist. Jung oder – sagen wir’s direkt – zsammpickt, das wäre somit das korrekte Sakkoträger-Profil.

Und da sind noch die beiden Eintrittskarten zu den Melker Sommerspielen, die sich in einer Tasche finden. Also kunstbeflissen? Der eilig kontaktierte – und nach wie vor rank-schlanke – Kulturjournalist, kürzlich unser Gast, hätte nichts gegen Hilfiger. Aber Melk? Nein, danke, das kann nicht er gewesen sein. Der Fotograf hinwiederum, zeitgleich an unserem Tisch gewesen, hätte vielleicht nichts gegen Melk und Sommerspiel, hält aber die Zumutung, als potenzieller Hilfiger-Träger zu gelten, für reichlich sonderlich. Was nun? Mein Schwager kommt mir in den Sinn, kulturliebender Leptosom. Nein, seines ist es nicht, aber sein Sohn, modebewusste 18 Jahre alt, vermisst Herrn Hilfiger seit ein paar Tagen bitterlich. Womit der Fall geklärt ist. Unspektakulär, ja fade. Ein „Columbo“ wird daraus niemals nicht. Nicht einmal eine halbe „Soko Donau“.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 19. November 2005

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