„Als hätte ich hundert Menschen umgebracht“

Notarzthelfer aus Teheran, derzeit Wien: Ali Hosseini.


Ali Hosseini ist Notarzthelfer. Ali Hosseini stammt aus Teheran. Seit rund zwei Jahren zieht er durch Österreich: von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim. Den einen kurzen Aufenthalt in der Schubhaft nicht zu vergessen. Ali Hosseini hat um Asyl angesucht. Und weil er fürchtet, dass er bald in den Iran abgeschoben wird, weil er den iranischen Behörden nicht noch mehr Material gegen sich liefern will, bittet er, seinen Namen nicht zu nennen. Ali Hosseini heißt nur für 153 Zeitungszeilen Ali Hosseini.

Ali Hosseini ist kein Einzelfall. Und nichts Spektakuläres, nichts Sensationelles ist seiner Geschichte eigen. Ali Hosseini ist bürokratische Routine. Solche wie er klopfen alljährlich zu Hunderten an heimische Beamtentüren. Die, die es noch viel schlimmer trifft, die Extrem-, die Härtefälle, die wollen meist mit niemandem darüber reden, weiß man in der Ausländerberatungsstelle der Wiener Caritas.

Nein, Ali Hosseini wurde nicht gefoltert. Nein, er wurde nicht geschlagen. Nein, er wurde nicht ins Gefängnis geworfen. Nicht im Iran. Noch nicht. Er hatte sogar finanziell in seiner Heimat durchaus ein gutes Auskommen. Nur ertrug er es eines Tages nicht mehr, als einer, dessen Beruf das Helfen ist, niemandem helfen zu können, er lehnte sich nach 18 Arbeitsjahren gegen seine eigene Hilflosigkeit auf, forderte Verbesserungen.

Ali Hosseini wurde auffällig: „Mein Ausbildung habe ich während der Schah-Zeit absolviert. Unsere Apparate damals waren modern. Aber nach der islamischen Revolution, Ende der Siebzigerjahre, wurde keine Wartung mehr gemacht, es gab keine Reparaturen. Die Geräte veralteten, wurden nicht durch neue ersetzt. Wenn man aber keine funktionierenden Apparate hat, dann kann man immer weniger tun für die Menschen. Viele starben während der Behandlung, weil die Mittel nicht reichten. Es gab zunehmend Auseinandersetzungen, die durch diesen Mangel entstanden. Man hat in jeder Beziehung versucht, mir das Leben schwer zu machen. Ich wurde wegen meiner Beschwerden an immer schlechtere Stellen versetzt, bis ich schließlich einsehen musste, dass ich einfach nicht bleiben konnte. Außerdem hatte ich die Staatsführung beleidigt – und das war ein unverzeihliches Sakrileg.“

Ali Hosseini entschloss sich, seine Heimat zu verlassen: „Es gibt natürlich keinen Marktplatz, auf dem Schlepper ihre Dienste anbieten, es gibt auch viele Menschen, die weg wollen und niemanden finden, der ihnen hilft, die entsprechenden Papiere zu bekommen. Durch Freunde, Bekannte erfährt man, wenn man Glück hat, wie so etwas geht.“ Das erste Angebot: Österreich. „Wenn man in einer solchen Situation ist, sucht man nicht lange; man kann nicht auswählen, ob man da- oder dorthin geht, man nimmt, was man bekommt. Ich wusste nichts über Österreich, wusste nur, dass es Österreich gibt.“

Mittlerweile kennt Ali Hosseini das vordem so ganz und gar unbekannte Land schon besser. Seine erste Station nach der Ankunft am Flughafen Wien-Schwechat: Traiskirchen. „Als ich angekommen bin, habe ich um Asyl angesucht, da hat man mich nach Traiskirchen gebracht. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was passiert, auch nicht, dass es zu einer offiziellen Einvernahme kommen würde. Der Dolmetscher war nicht gut – und ich wusste auch nicht, wie wichtig das Gespräch ist. Danach hat man mir gesagt, dass ich in Bundesbetreuung komme und dass ich in drei Monaten eine Entscheidung erhalten würde.“

Nächster Halt auf Hosseinis Österreich-Tour: ein Flüchtlingsheim bei Salzburg. „Sechs Monate war ich dort. Die Leute in dem Ort wussten natürlich, dass da Asylwerber untergebracht werden, die haben alle einen großen Bogen um diese Pension gemacht, als ob wir Kriminelle wären.“ Der Alltag in einer solchen Unterkunft? „Es ist wie in einem Altersheim Die Leute sitzen vor dem Fernseher oder starren aus dem Fenster, wenn man etwas lesen möchte, dann geht das nicht, weil man in Gedanken immer woanders ist.“ Irgendwie, heißt es, schlägt man halt die Zeit tot.

In Linz schließlich, seinem dritten Aufenthaltsort auf österreichischem Boden, erreicht Hosseini die Nachricht: Asylantrag abgelehnt. Später folgen: Schubhaft, vier Tage danach – nach Intervention der Caritas – die Freilassung. „Die Leute in der Schubhaft werden behandelt, als hätten sie etwas verbrochen. Es war, als hätte ich hundert Menschen umgebracht. Das ist so schwer zu verstehen.“

Mittlerweile hat Hosseini einen zweiten Asylantrag gestellt, weil das erste Asylverfahren „ziemlich mies“ war, wie einer seiner Caritas-Betreuer meint. Ali Hosseini: „Wenn ich Asyl bekäme, dann könnte ich endlich ruhig auf die Straße gehen, ohne Angst, verhaftet zu werden. Ich könnte arbeiten. Jetzt muss ich immer davor zittern, irgendetwas falsch zu machen.“

Dann und wann meint man, in seinen Blicken, in seinen Gesten, im Tonfall seiner Sprache jene Resignation zu erahnen, die enttäuschte Hoffnung hinterlässt. „Österreich ist nach außen ein sehr schönes Land, aber drinnen, im Innern, da ist etwas, was man überhaupt nicht begreifen kann“, meint er. Und: „Es gibt so viel zu sagen, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“

Ali Hosseini ist kein Einzelfall. Und nichts Spektakuläres, nichts Sensationelles ist seiner Geschichte eigen. Ali Hosseini ist bürokratische Routine. Solche wie er klopfen alljährlich zu Hunderten an heimische Beamtentüren.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 26. April 1997

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