„Star Trek“: To beam or not to beam

Die erfolgreichste TV-Serie aller Galaxien lässt uns noch immer die Ohren spitzen.


Sie haben zigtausend Lichtjahre quer durch Galaxien, „die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“ durchquert, haben neue Welten, neue Zivilisationen, zuletzt im Kino das „Unentdeckte Land“ erforscht und letztlich für jedes Problem eine Lösung, für jede Frage eine Antwort gefunden. Nur den irdischen Auswirkungen ihres himmlischen Tuns stehen sie seit mehr als zwei Jahrzehnten ratlos gegenüber: Nach den Gründen ihres wahhaft extraterrestrischen Erfolges gefragt, sind die führenden Mitglieder des United Stars Spaceship „Enterprise“ mit ihrem Weltraum-Latein rasch am Ende.

Da hört man Captain James T. Kirk alias William Shatner raunen, das habe wohl etwas mit dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Erkenntnis darüber zu tun, wie das Leben nach unserem Tod weitergehen werde. Für die dunkelhäutige Kommunikationsoffizierin Uhura alias Nichelle Nickols ist die Serie schlicht eine Art Versicherung, „dass wir nicht den ,Knopf‘ drücken werden“; und auch der Spezialist für logisches Denken an Bord, der Vulcanier Spock alias Leonard Nimoy, flüchtet sich in Diffuses: „Wir erlauben den Blick in eine Zukunft, in der die Menschen noch mehr vermögen werden als heute.“ Faszinierend. Aber orientieren sich nicht Jahr für Jahr Myriaden anderer Produktionen an demselben Prinzip, ohne auch nur annähernd jene Wirkung zu erreichen, die „Star Trek“, in unseren Breiten besser bekannt als „Raumschiff Enterprise“, beschieden war – und insbesondere in den USA nach wie vor beschieden ist?

Freilich: Wie leicht ist es, bunt schillernde Kraftfelder, die Existenz hyperbeschleunigter Lebewesen, ja selbst einen auf seinem Fauteuil durchs All schwebenden Abraham Lincoln zu erklären, verglichen mit dem Problem, die schier zeit- und raumlose Faszination dieser Low-Budget-Fernsehserie zu ergründen. Rund 400 Fan-Clubs allein in den USA, der größte davon mit etwa 35.000 Mitgliedern, regelmäßige Treffen, sogenannte „Conventions“, zu denen jeweils Tausende Begeisterte, häufig ordnugsgemäß adjustiert und teils sogar in Spockscher Manier spitzbeohrt, anreisen, um endlich einmal eines ihrer Vorbilder leibhaftig vor sich zu sehen, und all das, obwohl schon mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen ist, seit die Crew rund um Kirk, Spock und McCoy zum ersten Mal auf den Mattscheiben dorthin aufbrach, „where no man has gone before“ – das ist im televisionären Kosmos, diesem schier expolierenden Universum rasender – und immer weniger nachhaltiger – Sinneseindrücke eine rational kaum fassbare Einzelerscheinung.

Denn es sind nicht die inzwischen sechs Kinofilme, die fast 100 Fließband-Romane Marke „Star Trek“ und auch nicht die seit 1987 unter dem Titel „Star Trek: The Next Generation“ über die amerikanischen Bildschirme flimmernden Abenteuer eines neuen Raumschiffs „Enterprise“ mit neuer Besatzung und neuem Konzept – es sind die zwischen 1965 und 1968 entstandenen 79 Fernsehfolgen, die „Star Trek“ nach einigen Anlaufschwierigkeiten alsbald mit Warp-Geschwindigkeit in die elysischen Gefilde überirdischer Popularität katapultierten. Wo sie, bei gleichbleibend himmlischen Einschaltquoten ständig himmlische Gewinne abwerfend, bis heute verweilen.

Dabei waren die meisten Mitwirkenden von Beginn weg vom Scheitern des Unterfangens überzeugt. TV-Geschichte zu schreiben – daran haben sie nicht im Mindesten gedacht. Tatsächlich wird der unvoreingenommene Betrachter auf den ersten Blick in „Star Trek“ nichts anderes erkennen als ein Kritiker der „Welt“ im Jahr 1987: eine „Fernsehserie der billigen und dummen Sorte“. Ein Verdikt, dem zumindest zur Hälfte selbst eingefleischte „Enterprise“-Fans ohne Zöhern zustimmen werden. „Billig“ war das allemal, was da den – vorerst im Übrigen wenig berauschten – Zuschauern vorgesetzt wurde: von den schonungslos jedes Speckfältchen offenbarenden Stretch-Trikots der „Enterprise“-Besatzung bis zu den schmucken Felsenlandschaften aus Pappmaché, die – wechselnd eingefärbt – jeweils andere Planeten anderer Galaxien vorzustellen hatten, von den biederen „Special Effects“ aus Omas Nähkörbchen bis zur Besatzungsbesetzung.

So vermochten die meisten „Star Trek“-Akteure nur in der sterilen, von jedem Keim der Persönlichkeitsentwicklung oder -veränderung freien Atmosphäre an Bord der „Enterprise“ zu existieren. Ob DeForest Kelley (McCoy) oder George Takei (Sulu), Walter Koenig (Chekov) oder James Doohan (Scotty); Sie alle haben ihre einzige darstellerische Erfüllung in „Star Trek“gefunden.

Einzig Leonard Nimoy war es vergönnt, anderweitig zu reüssieren; in zahlreichen Fernseh-Engagements vor, beim Film meist hinter der Kamera: Nach zwei „Star-Trek“-Kinofolgen inszenierte er 1987 eine zumindest finanziell erfolgreiche US-Version des französischen Komödien-Klasenschlagers „Drei Männer und ein Baby“ und versuchte sich ein Jahr später mit dem „Preis der Gefühle“ gar im melodramatischen Regiefach. Im Jahr 1965 freilich war der Kleindarsteller Leonard Nimoy, der sich bis dahin vor allem als Taxilenker, Barmixer, Platzanweiser und Zeitungszusteller verdingt hatte, noch billig zu haben; genauso wie alle andern Mitglieder der „Star-Trek“-Manschaft. Billige Darsteller für eine billige Serie.

Aber „dumm“ war das, was sich „Star-Trek“-Erfinder Gene Roddenberry und seine Mitarbeiter erdachten, keineswegs. Allein wie sie sich immer wieder über die Knappheit der finanziellen Mittel hinwegschwindelten zeugt von großem Einfallsreichtum. Was sind schon die aufregendsten Weltraum-Verfolgungsjagden, die rasantesten Laserschwert-Gefechte eines George Lucas gegen einmal „Beamen“?

Die Phaser-Pistolen – Materialwert: ein paar Schilling – sind noch immer die unbestritten bekanntesten Waffen des gesamten televisionären und cineastischen Kosmos; Originalstücke erzielen inzwischen bei Auktionen Preise zwischen 10.000 und 15.000 Dollar. Und die handlichen Telekommunikationsgeräte der „Enterprise“-Crew, die bei Inbetriebnahme so hübsch zwitscherten? Sie können durchaus als Sciencefiction-Urahnen unserer Mobiltelefone gelten.

Die Mehrheit der „Enterprise“-Fans, jene, die sich als „Trekkers“ oder „Trekkies“ deklarieren, suchen – und finden – in „Star Trek“ vor allem die Geborgenheit einer Glaubensgemeinschaft. Und dabei richtet sich die kultische Verehrung nicht in erster Linie an einzelne Personen, sondern an das United Stars Spaceship als soziales System, das jedem seiner Mitglieder Elite-Status garantiert. Die „Trekkies“ schlüpfen in ihr „Star-Trek“-Trikot, essen von ihren „Star-Trek“-Tellern, trinken aus ihren „Star-Trek“-Bechern, versäumen keine der zahlreichen „Star-Trek“-Wiederholungen im Fernsehen und finden so in einer televisionären Scheinwelt jene Erfüllung, die ihnen in der Wirklichkeit versagt bleibt.

Einer Scheinwelt, die der Wirklichkeit zudem Klarheit und Übersichtlichkeit voraus hat: In den unendlichen Weiten des „Star-Trek“-Weltraums gibt es keine Grauwerte, sonder nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse, säuberlich geschieden und problemlos zu identifizieren. Man denke etwa an das Feindbild Nummer eins, die gar schröcklichen Klingongen – die Sowjets des 23. Jahrhunderts – mit ihren schon äußerlich Aggression und rohe Gewalt signalisierenden Raumkreuzern, die wie überdimensionale Gelsen aus Stahl das Universum traktieren. Da wird es schon aus rein ästhetischen Gründen als gerechtfertigt empfunden, wenn die elegant gestylte „Enterprise“ – ausschließlich in Notwehr, versteht sich – via Photon-Torpedos und Phaser-Kanonen solch intergalaktisches Ungeziefer aus dem Kosmos tilgt.

In der „Star-Trek“-Zukunft gelten somit ähnliche Gesetze wie im Wilden Westen der B-Movies: Hier wie dort tritt uns das sogenannte Böse – schon rein äußerlich an wahrhaft exorbitanter Hässlichkeit leicht erkennbar – als kurzfristige Störung einer statischen, auf ewige Zeiten festgeschriebenen Ordnung entgegen; jeder Ansatz zu Veränderung, Entwicklung, ja selbst der bloße Zweifel am Bestehenden wird als Gefahr, als Übel denunziert – und von Space-Sheriff Kirk regelmäßig ohne langes Fackeln und notfalls auch unter Anwendung von Gewalt unterbunden. Man ist zwar in „friedlicher Mission“ unterwegs, aber für alle Eventualitäten gerüstet. Das „Gleichgewicht des Schreckens“ lässt grüßen. Und auch das US-amerikanische Selbstverständnis, eine Art Welt-Gendarm zu sein.

Allerdings: An Bord der „Enterprise“ gibt es keinen Rassismus, es herrscht trautes Miteinander der Völker und Kulturen. Da steuert der Asiate Sulu gemeinsam mit dem Russen Chekov das Raumschiff durch unbekannte Galaxien, da begegnen einander Schwarz (Uhura) und Weiß (Kirk), Vulcanier (Spock) und Erdling (McCoy), als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Und in „Star-Trek: The Next Generation“ hat sogar ein Klingone, noch dazu als Sicherheitschef, den Sprung in die Führungsmannschaft geschafft. Die idealistische Version einer „Family of Man“, wie wir sie den Fünfzigerjahren verdanken – im 23. Jahrhundert ist sie Wirklichkeit.

Man hüte sich, die Bedeutung solch ideologischer Bildschirmvorgaben zu unterschätzen: Der Russe Chekov, der erst in der zweiten Serienstaffel an Bord ging, soll – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – indirekt gar von der „Prawda“ in die Crew rund um Kirk hineinreklamiert worden sein. Und Martin Luther King wiederum schien die Mitarbeit einer Farbigen auf der „Enterprise“-Kommandobrücke wichtig genug, dass er selbst die ihrer etwas mageren Nebenrolle als Uhura alsbald überdrüssig gewordene Nichelle Nichols bei einem zufälligen Treffen aufforderte weiterzumachen.

Dass gerade Nichelle Nichols in späteren Jahren höchst erfolgreich Astronauten-Nachwuchs für die Nasa rekrutieren konnte, zeigt einmal mehr, wie wenig die Grenze zwischen Sein und Fernseh-Schein vor allem von amerikanischen TV-Konsumenten heute noch wahrgenommen wird.

So wird auch verständlich, dass im „National Air and Space Museum“ der Smithsonian Institution in Washington nicht weit vom Flugzeug der Brüder Wright und Charles Lindberghs „Spirit of St. Louis“ ein Modell der „Enterprise“ zu finden ist. Sie ist amerikanische Geschichte und amerikanischer Traum in einem.

Und weder Klingonenkreuzer, noch eine Reihe mehr oder weniger misslungener „Star-Trek“-Kinofilme konnten diesen Nimbus im Lauf der vergangenen 20 Jahre zerstören. „To beam or not to beam“ – das ist auch nach dem Tod des „Star-Trek“-Erfinders Gene Roddenberry im vergangenen Herbst keine Frage. Die „Enterprise“ und ihre Crew sind längst unsterblich. Wie Shakespeare, Mozart – und Mickey Mouse.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“,„Spectrum“, 25. Juli 1992

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