Protest-Comics: Rechthaber, Empörte und die wahren Werte

Spielarten des Protests, laute wie leise, historische wie gegenwärtige, folgenreiche wie erfolglose, stehen im Mittelpunkt von Comic-Neuerscheinungen. Über die USA mit und nach Trump, weibliche Wut und Zumutungen unseres politischen Alltags.

Wer schreit, hat unrecht? Ach wäre doch die Welt so einfach, wie es uns die Spruchweisheiten unserer Ahnen weismachen wollen! Protest nämlich hat viele Formen, leise, laute, und keine von ihnen gibt verlässlich über Gewicht und Triftigkeit ihres Beweggrunds Auskunft.

Die Gegenwart allerdings scheint jene Tonalität zu bevorzugen, die ein damals 93-Jähriger 2010 vorgegeben hat. „Empört euch!“, drängte uns da der Franzose Stéphane Hessel, und tatsächlich: Wofür und wogegen alles empören wir uns heute! Selbstredend längst nicht mehr nur gegen Finanzkapitalismus und für Pazifismus, wie es einst Hessel tat, sondern auch für Diversität und gegen Plastikflaschen, für Regenwälder und gegen raffinierten Zucker, für Recycling-Klopapier, gegen Gendersternchen und gegen das miserable Wetter vom vergangenen Wochenende sowieso.

Äußerste Erregung. Egal wie nichtig oder bedeutsam eine Sache ist, empört wird ubiquitär. Und so viel Sympathie man als potenzieller Adressat dieser oder jener Sache womöglich entgegenbringen möchte: Der unheilvolle Ton äußerster Erregung der jeweiligen Proponenten macht Zustimmung ebenso schwierig wie die Verständigung mit jenen, die die jeweilige Sachlage – ebenso enragiert – ganz anders sehen.

Auch der US-amerikanische Zeichner Nate Powell ist empört, als 2016 ein gewisser Donald Trump zum Präsidenten seiner Heimat gewählt wird. Was Wunder, möchte man sagen, und doch irritiert die kategorische Schwarz-Weiß-Sicht, mit der Powell seinen Comic-Essay über die daran anschließenden Jahre formuliert. „Save it for later“ ist der benannt und will „Über Verantwortung für unsere Zukunft und die Dringlichkeit von Protest“ aufklären, so der Untertitel.

Solche Aufklärung täte tatsächlich not, nur muss sie, soll sie fruchten, differenzierter erfolgen als aus dem Pathos eines Rechthabers heraus, der in jedem Andersdenkenden (und -wählenden) einzig und allein den Unrechthaber erkennt.

Dennoch: Das Bild, das Powell von seinen USA entwirft, mag zwar allzu überzeichnet sein, von Grund auf falsch ist es deshalb noch lange nicht. Was er während der Trump-Jahre erlebte und anschließend zu Papier brachte, hat durchaus das Zeug dazu, Angst zu machen: wie sich da der Bodensatz aus überwunden geglaubten Rassismen und machistischem Herrenmenschenkult zur bestimmenden Kraft des öffentlichen Diskurses aufschwingt, als hätten wir’s mit hinterwäldlerischster Hinterwäldlerei und nicht mit einer der ältesten Demokratien der Welt zu tun.

Kein Zweifel: Powells Alltagsbeobachtungen, in angemessener Düsternis rapportiert, treffen den Kern – und dennoch verfehlen sie ihr Ziel. Irgendwo zwischen Leiden an der Zeit und leidenschaftlichem Protest gerinnt ihm sein Aufklärungsversuch zum Pamphlet, in dem übergroße Eiferei tieferes Verstehen sabotiert.

Am Ende sieht man Powell auf einem Foto, in der Hand ein Schild quasi als Beleg für die Unantastbarkeit seiner Position: „Moral ist nicht parteiisch.“ Aus Erfahrung freilich wissen wir: Denselben Satz würden mit derselben Inbrunst jene für sich in Anspruch nehmen, die Powell um seine Ruhe bringen – wie alle anderen, die sich gar so sicher sind, auf der einzig richtigen Seite zu stehen.

Nate Powell: Save it for later. Über Verantwortung für unsere Zukunft und die Dringlichkeit von Protest. Aus dem Amerikanischen von Christian Langhagen. 162 S., € 24,70 (Carlsen Verlag, Hamburg).

Die richtige Seite, die hat auch jener deutsche Schauspieler und – vor allem! – Sänger stets für sich reklamiert, dem Jochen Voit und Sophia Hirsch kürzlich eine Comic-Biografie gewidmet haben: Ernst Busch (1900-1980). Schon den Volksschüler sieht man da als Solisten bei der Maifeier der SPD in seiner Geburtsstadt Kiel die Internationale schmettern, und der Kampf für die Rechte der Arbeiterschaft wird ihn zeit seines Lebens begleiten: als Akteur in der linken Berliner Theaterszene an der Seite von Brecht, Weill und Eisler, genauso wie später, nach der Flucht vor der Gestapo, in Stalins Sowjetunion, im Spanischen Bürgerkrieg, an seinem Lebensabend schließlich in der DDR.

Und genauso treu, wie Busch seinen linken Idealen bleiben wird, wird er sich seine widerborstige Renitenz bewahren, auch gegenüber jenen Mächtigen, die ihn unter dem Vorwand, sie und ihn eine dieselbe Sache, politisch in die Pflicht nehmen wollen. Mit skizzenhaften Strichen, zurückhaltend koloriert, zeichnen Voit und Hirsch diese Existenz im permanenten Protest aus der Warte ihrer Wegbegleiter nach. Und allein wie unterschiedlich die Menschen sind, die da zu Wort kommen, Pete Seeger geradeso wie Gustaf Gründgens oder die von Stalins Geheimpolizei 1942 ermordete Schriftstellerin Maria Osten, weist auf eine Persönlichkeit hin, die sich bis heute einer kategorischen Zuordnung entzieht.

Jochen Voit, Sophia Hirsch: Ernst Busch – Der letzte Prolet. 248 S., € 26 (Avant Verlag, Berlin).

Die eklatanteste – und folglich weithin geächtete – Ausdrucksform des Protests hat sich die deutsche Illustratorin Anna Geselle vorgenommen: die Wut. Wobei Geselle dieser Ächtung nicht nur ganz allgemein auf den Grund zu gehen sucht, vielmehr konkret im Geschlechtsbesonderen. Warum werde eine wütende Frau als hysterisch, ein wütender Mann dagegen als durchsetzungsstark empfunden, fragt sie und plädiert in cartoonesk pointierten Bildern wie in fundierten Essaypassagen beredt für ein Recht, wütend zu sein jenseits aller Geschlechterschranken. Dass sie bei so viel Mut zur Wut nicht deren Schattenseiten übersieht, zählt zu den besten Qualitäten dieses durchweg erstaunlichen, nicht zuletzt erstaunlich kurzweiligen Bandes.

Anna Geselle: Furiositäten. Ein Comic über weibliche Wut. 176 S., € 22 (Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/Main).

In den Tod geschickt. Jeden Grund zur Wut hätten jene jungen Frauen gehabt, die in den USA der 1920er von der US Radium Corporation wissentlich in den Tod geschickt wurden. Dass die radioaktive Leuchtfarbe, die sie auf die Ziffernblätter von Uhren auftrugen, ihre Gesundheit gefährdete, konnten sie nicht einmal ahnen, und ihr Arbeitgeber trug nichts dazu bei, sie über die Gefahr, in der sie schwebten, aufzuklären. Fünf dieser Frauen, schon vom Tod gezeichnet, haben schließlich vor Gericht eine Entschädigung erfochten – und damit bis heute nachwirkende Standards des Arbeitnehmerschutzes in den USA geschaffen.

Die französische Zeichnerin Cy. hat diesen „Radium Girls“ und ihrem Kampf jetzt in Form einer Graphic No vel ein Denkmal gesetzt: so eindringlich wie bestürzend schön gestaltet.

Cy.: Radium Girls. Ihr Kampf um Gerechtigkeit. Aus dem Französischen von Christiane Bartelsen. 136 S., € 20,60 (Carlsen Verlag, Hamburg).

Ganz und gar dem Hier und Jetzt verpflichtet ist der Protest, den Cartoonist Gerhard Haderer seit 1997 in seinem „feinen Schundheftl“, „Moff“ betitelt, Monat für Monat neu formuliert. Es ist ein Protest gegen die Zumutungen des heimischen Polit-Alltags, gegen Provinzialismus, Bigotterie, nicht zuletzt gegen den tierischen Ernst. Und wenn Haderer seinerseits wie in der aktuellen Ausgabe den Protest anderer, in diesem Fall den politisch befeuerten Protest impfskeptischer Hasskohorten, aufs Korn nimmt, dann fehlt’s ihm auch nicht an Schärfe der Polemik. Ob’s etwas bewirkt? Bei jenen, die’s anginge, wohl nicht viel. Bei allen anderen immerhin das Gefühl, mit dem eigenen Kopfschütteln nicht allein zu sein.

Gerhard Haderer: Moff. Haderers feines Schundheftl. Erscheint monatlich, je 36 S., € 3 (Scherz & Schund Fabrik, Linz).

Wolfgang Freitag, „Die Presse am Sonntag“, 23. Jänner 2022

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