Österreich – ein Paradies der Multikulturalität? Die aus Kroatien stammende Sopranistin Marija Vidovic hat ihre Wahlheimat so kennengelernt – im Reservat der Wiener Musikuniversität. Aus der Serie „Ausland Wien“.
Die Angst vor den „Ausländern“: Die finden wir ja längst nicht nur dort, wo sie uns so oft vorgeführt wird – bei den „Modernisierungsverlierern“ oder den „bildungsfernen Schichten“. Spätestens die Diskussion um – igitt! – fremdländische Studierende an hiesigen Universitäten präsentierte uns Xenophobie in voller Blüte mitten im akademischen Wiesengrund. Und schnell schrillte da der Ruf nach „Zugangsbeschränkungen“, „Quoten“ und „Notfallparagrafen“ durch den universitären Raum, nach Ausschließungsmechanismen jedenfalls, wie wir sie sonst aus Asyl- und Wirtschaftsflüchtlingsdebatten kennen. Dass heimische Hochschulen von dem knappen Viertel nicht heimischer Studenten womöglich profitieren könnten, ist bis heute kaum je Gegenstand heimatbesorgter Betrachtungen. Noch weniger, dass ein entsprechend internationales Interesse am Ende vielleicht dem internationalen Ansehen dienlich zu sein vermöchte.
Immerhin, jenes Institut am Platz, das seit Jahrzehnten den weitaus höchsten Anteil an Auslandsstudenten ausweist (fast 50 Prozent), ist auch das einzige, das in der Tat Weltruf genießt: die Wiener Musikuniversität. Und Marija Vidovic weiß auch einen Grund dafür: „Es war eine schöne Überraschung, als ich nach Wien kam, dass die ganze Gesangsabteilung und auch mein Jahrgang so bunt gemischt waren. Jeder stammte aus einem anderen Land. Das hab ich als ungeheuer bereichernd empfunden. Man kommt so vielen kulturellen Unterschieden so nah, findet aber doch immer wieder Gemeinsamkeiten.“ Und überhaupt: „Durch die Musik ist man immer akzeptiert, man ist überall willkommen.“
Vidovic selbst, Jahrgang 1982, stammt aus Kroatien: Sie ist in der Nähe der 30.000-Einwohner-Stadt Cakovec aufgewachsen, im Dreiländereck Slowenien-Ungarn-Kroatien, was schon früh und gleichsam von selbst einen Hauch von Multikulturalität in ihr Leben brachte: „Gleich bei uns, jenseits der Mur, war Ungarn“, erinnert sie sich. Und sie bedauert bis heute, kein Wort Ungarisch zu sprechen: „Das war eine vergebene Chance. Schon in unserer Volksmusik gibt es ja viele ungarische Einflüsse. Da ist viel Csardas dabei.“ Im Übrigen sei es auffallend, „dass viele Ungarn Kroatisch sprechen lernen, aber in der Gegenrichtung, dass Kroaten Ungarisch lernen, das passiert kaum“. Deutsch dagegen war in ihrem Fall Unterrichtsfach, und zwar sogar als erste Fremdsprache: „Meine Eltern haben auch Deutsch gelernt in der Schule. Als kleines Kind habe ich in den Ferien am Meer immer viele Leute getroffen, die deutsch gesprochen haben, und das hat mir sehr gut gefallen.“
Vidovic hat auch schon früh erfahren, was geschieht, wenn aus bloßem Machtkalkül an die Stelle nationaler Vielstimmigkeit die Monotonie des Völkischen tritt: während des Jugoslawienkriegs. „Sehr viele Flüchtlinge sind zu uns gekommen, vor allem aus Bosnien, wir hatten auch eine Familie einquartiert. Neun Jahre lang haben die bei uns gelebt, haben vom Krieg erzählt und immer wieder aufs Neue gehofft, endlich zurückkehren zu können.“
Ihr Wunsch, Sängerin zu werden, entwickelte sich aus einer Freizeitbeschäftigung: „Meine Eltern haben in einem Chor gesungen, Volkslieder, und da hab ich auch begonnen. Und dann gab es in meiner Schule einen Lehrer, der frisch aus der Musikerausbildung kam und mich sehr gefördert hat; der hat mich dann zu einer Gesangslehrerin geschickt, in die nahe gelegene Stadt Varazdin.“ Ihre Eltern hätten sie auf ihrem Weg „immer unterstützt“: „Als ich das erste Jahr an der Musikschule in Varazdin inskribiert habe, haben sie gesagt: Nimm noch das Gymnasium dazu, damit du auch noch eine Chance hast, wenn du dir das in vier Jahren, so lange dauert bei uns die Ausbildung, überlegst.“
Von der Musikschule in Varazdin führte sie der Weg direkt nach Österreich. Marija Vidovic: „Meine Gesangslehrerin hat ihre Schüler nach Wien geschickt oder nach Graz, aber für mich war Wien einfach die Hauptmusikstadt, und ich wollte unbedingt da hin.“ Im Jahr 2000 besteht sie die Aufnahmeprüfung an der Wiener Musikuniversität und übersiedelt in eine für sie so gut wie unbekannte Stadt: „Nach Graz sind wir ja wenigstens einmal im Jahr zum Einkaufen gefahren, aber Wien kannte ich nur von einem einzigen Besuch. Und ich hatte so gut wie keine Kontakte.“ Zuerst findet sie im Kroatischen Kollegium eine Heimstatt, später in einer Wohngemeinschaft. Und sie lernt ihren Goran kennen, aus Split gebürtig, mit Wien schon bestens vertraut und also in der Lage, sie mit den lokalen Besonderheiten bekannt zu machen.
„Ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl, in Wien zu sein“, bekennt Vidovic heute. „Wien hat mir Gelegenheit gegeben, viele große Sänger live zu erleben. Auch davon habe ich eine Menge profitiert. Mit der Zeit wird man da immer kritischer. Andererseits: Jetzt, wo ich selbst Vorsingen und auch Konzerte habe, weiß ich natürlich, wie schwer bestimmte Dinge sind und wie hoch das Niveau ist. Ich bin die Glücklichste, wenn ich zu einem Konzert oder zu einer Opernaufführung gehe und mich erfüllt fühle.“
Mittlerweile hat sie ihr Studium in Wien abgeschlossen und ist an die Stuttgarter Opernschule weitergezogen: zur Fortbildung bei ihrem Mentor, Francisco Araiza: „In Stuttgart bin ich sehr konzentriert auf die Arbeit und auf die Proben, aber ich versuche immer, schnell nach Wien zurückzukommen. Ich bin hier zu Hause.“
Daran soll sich auch nichts ändern, wenn die Karriere der Sopranistin den ersehnten Verlauf nimmt: „In zehn Jahren möchte ich an den besten Häusern arbeiten“, sagt sie. Was noch fehlt: „Eine gute Agentur.“ Und wer sie – sagen wir – Hugo-Wolf-Lieder singen hört, mag ihr gern glauben schenken, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 8. Mai 2010