So original, wie es gegenwärtiges Wissen und Befunden zulassen – und womöglich haltbarer denn je: Otto Wagners Administrationsgebäude an der Nussdorfer Schleuse in Wien-Brigittenau, neu gefasst. Ein Besuch.
„Oje, da ist ja der Herr Architekt, der wird gleich mein grünes Hemd weiß anstreichen . . .“ Der Magistratsmitarbeiter, der da den „Herrn Architekten“ im Vorbeigehen launig anspricht, ist nicht wirklich um sein Hemd besorgt. Jener „Herr Architekt“ nämlich, von Beruf Baumeister und Wolfgang Czernilofsky mit Namen, mag zwar mit mancher Umfärberei in Verbindung zu bringen sein, doch von Textilien konnte dabei bislang noch nie die Rede sein.
Wir befinden uns an der Adresse Am Brigittenauer Sporn 7, und wer hier, wo sich Donaukanal von Donau trennt, mit Wolfgang Czernilofsky durch die Räume geht, könnte leicht glauben, er habe es mit einem hochherrschaftlichen Palais oder mit einem kaiserlichen Schloss zu tun, so akribisch bedenkt Czernilofsky jedes Detail mit Aufmerksamkeit. Nun, hochherrschaftlich ist das Gemäuer keineswegs und kaiserlich nur gewissermaßen, vielmehr schlichtes Administrationsgebäude, 1898/1899 errichtet für die Donau-Regulierungs-Commission. Und doch: Wem könnte der selbstsicher-souveräne Gestus entgehen, mit dem es sich über die Wasser erhebt?
Derlei ist kein Zufall, schließlich ist die Baulichkeit Teil einer Komposition, die ihrem Schöpfer, Otto Wagner, sehr viel mehr war als bloßes Zweckobjekt. „Die Bauten der Donaucanalsperre betreffend, war Wagners Gedanke der der Schaffung eines monumentalen Thores am Eingange des Canales“, wusste die Zeitschrift „Der Architekt“ im Jahr 1900 zu berichten. Entsprechend dominant präsentiert sich, was heute Nußdorfer Wehr- und Schleusenanlage heißt: Namentlich die beiden Bronzelöwen, die da, geschaffen von Rudolf Weyr, auf mächtigen Pylonen Wächterdienste tun, lassen keinen Zweifel darüber, dass hier mehr erfüllt sein sollte als eine bloß technische Funktion.
Dieses „Thor“ passiert heute kaum noch wer. Geblieben ist dagegen die periphere Lage am äußersten Nordzipfel der Brigittenau, die es der Nachfolgeorganisation der Donau-Regulierungs-Commission, der Donauhochwasserschutzkonkurrenz, nicht gerade leichter machte, nach ihrer Übersiedlung in zentralere Lage einen Nachnutzer für das Gebäude zu finden. „Da gab es sogar Pläne, das Haus zu entkernen und eine Diskothek draus zu machen“, weiß Wolfgang Czernilofsky.
Glücklicherweise kam es anders: Mit der Magistratsabteilung 45, zuständig für Wiens Gewässer, wurde ein passender Quartiernehmer gefunden, und im Zuge der für den Einzug nötigen Adaptierungsmaßnahmen entstand die Idee, dem Gebäude sein originales Aussehen zurückzugeben. Denn davon konnte seit Jahrzehnten keine Rede mehr sein. Auch an diesem Objekt wie an so vielen anderen Otto Wagners hatte sich jenes ominöse Otto-Wagner-Grün breitgemacht, von dem man seit Jahren weiß, dass es erst lang nach Wagner an seine Gebäude – und an seine Stadtbahngeländer – kam. „Otto Wagner hat vorwiegend monochrom gebaut, und zwar monochrom weiß“, sagt Czernilofsky – und sagen die Befunde, die man in einschlägiger Sache längst angestellt hat.
Dass im Licht solcher Erkenntnisse Otto Wagners Werk nicht samt und sonders entgrünt wird, hat gute Gründe: nicht zuletzt den, dass Denkmalschützern auch das zwar nicht originale, jedoch längst gewohnte Bild als schützenswert gilt. So erinnert nur eine Handvoll Geländerlaufmeter unweit der Urania an deren ursprüngliche Farbe, ein helles Beige – und seit Kurzem das bewusste Administrationsgebäude, das, einheitlich in Weiß getaucht, noch an Eleganz gewonnen hat.
Allerdings, mit ein bisschen Farbe allein war’s nicht getan, wollte man sich dem ursprünglichen Erscheinungsbild annähern: Auch die Form der Fenster hatte sich im Lauf der Jahrzehnte deutlich verändert. „Wir hatten zwei kleine Fenster übereinander, mit einem dicken Kämpfer dazwischen, und die Fenster hatten auch noch Sprossen“, erzählt Wolfgang Czernilofsky. Der historische Zustand dagegen: schlanke, hohe, sprossenlose Fensterflügel. Eine Lösung, die sich, so Czernilofsky, offenbar nicht bewährt hat: „Wir haben durch die exponierte Lage des Gebäudes Regen, der vom Wind mit 100 Stundenkilometern und mehr an die Fenster geschlagen wird. Das haben die ursprünglichen Fenster sicher nicht lang ausgehalten.“ Dazu kommt, dass sich das Gebäude bis heute bewegt: „Wir stehen hier auf einem Schüttgebiet.“ Die Folge: Wenn sich das Gebäude bewegt, verziehen sich die Fenster und werden undicht.
Mit einem Trick schaffte Czernilofsky den Spagat zwischen historischer Erscheinungsform und den hier durchaus besonderen Herausforderungen der Funktionalität: Innen sind Passivhausfenster aus Holz in den Rahmen montiert, außen jedoch Aluminiumfenster. Eine Materialwahl, die bei Denkmalschützern zunächst auf wenig Gegenliebe stieß, allerdings eine besondere Konstruktionsweise erlaubte. „Die Außenebene der Fenster ist gleitend montiert“, erläutert Czernilofsky. Das Verhältnis Fensterstock zu Fensterflügel sei dadurch „unabhängig vom Rest des Gebäudes“. Ergebnis: „Wann immer es beim Haus eine Bewegung gibt – das Fenster bleibt dicht.“ Und seit dem äußeren Holz-Schein mit einer entsprechenden Pulverbeschichtung des Aluminiums Rechnung getragen wurde, ist – so Czernilofsky – auch das Bundesdenkmalamt einverstanden.
Sonst freilich setzte Czernilofsky meist auf bewährte Handwerkstradition: So mussten die Maurer, die den Verputz der Fassade besorgten, entsprechende Expertise in historischen Techniken nachweisen können. Und auch für die teils durchaus herausfordernden Erneuerungsarbeiten an den Verblechungen konnte ein Spengler mit einschlägigem Know-how gewonnen werden.
Da steht es also 125 Jahre nach seiner Errichtung, Otto Wagners Administrationsgebäude für die Donau-Regulierungs-Commission: so original, wie es Wissen und Befunden unserer Tage zulassen – und womöglich haltbarer denn je zuvor. Und für jene, die Otto-Wagner-grünen Ornamenten, Verblechungen und Fensterrahmen nachtrauern, hält es eine charmante Überraschung bereit: Folgend aktuellen Untersuchungen, finden sich Applikationen unter dem weiten Dachvorsprung und ein kleiner Balkon an der stromaufwärts gelegenen Fassade in zartestes Olivgrün getaucht. Kein Otto-Wagner-Grün, gewiss, aber ein bisserl Grün halt doch.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 20. Jänner 2024