„Ich lebe auf der Bühne nicht die edelsten Triebe aus, aber es wäre schön in der Welt, wenn alle diese Triebe so auslebten wie ich“: Josef Hader über das Kabarett, sein neues Programm, Hitchcock, den Tod und die städtische Bücherei.
Josef Hader auf der Bühne, Josef Hader in Werner Schneyders „Spott-Theater“ im Fernsehen, Josef Hader auf CD und jetzt auch noch Josef Hader auf der Leinwand: Hat die Vermarktung des Josef Hader begonnen?
Ich bin auch ein wenig beunruhigt. Aber ich denke mir: Solange ich meine Fähigkeiten halbwegs konzentriert halte auf einige wenige Dinge, die ich ordentlich mache, so lange glaube ich, das auch verantworten zu können. Dass ich beispielsweise den „Indien“-Film gemacht habe, liegt an der Entdeckung, wie viel Spaß ich daran habe, vor der Kamera zu stehen. Ich werde nicht laufend CDs produzieren, ich werde auch nicht laufend im Fernsehen auftreten, aber der Film interessiert mich formal und künstlerisch. Diese perverse Art, auf Knopfdruck plötzlich Sachen zu machen, die irrsinnig intensiv, nicht gekünstelt sind. Das reizt mich.
Was bedeutet für Sie Erfolg?
Erfolg ist für mich die Anerkennung anderer, wobei ich aber auch selbst davon überzeugt sein muss, dass die Sache gut ist. Ich würde nie einen Erfolg als solchen empfinden, wenn ich das Gefühl hätte, ich mache Mist.
Wie drückt sich Erfolg aus?
In einer inneren Befriedigung, dass man geschätzt wird auf Grund von Fähigkeiten. Erfolg liegt nicht im Geld.
Was bedeutet Geld für Sie?
Geld ist für mich eine von mehreren Möglichkeiten, unabhängig zu sein.
Und die anderen?
Die anderen? Kein Geld zu haben. Der normale Effekt ist der: In dem Moment, in dem man mehr Geld verdient, wird einem das Geld wichtig. Wenn man keines hat, ist es ja keine Kunst, dass man nichts vom Geld hält. Wenn man mehr hat, wird’s zur Kunst. Ich verdiene seit Jahren mehr, als ich verbrauche. Da denke ich mir: Nicht so schlecht, du kannst, wenn du willst, zwei Jahre an einem Drehbuch schreiben, ohne dass du einen Groschen sehen musst. Das ist angenehm.
Umgekehrt: Was wäre, wenn du das Geld nicht hättest? Dann könntest du auch zwei Jahre an einem Drehbuch schreiben, aber du müsstest nebenbei arbeiten. Als Erstes würde ich einen von den Kabarettwirten fragen, ob sie nicht einen freien Kellnerposten wissen. Ich würde sehr gern einmal Kellner sein. Oder bei den städtischen Büchereien arbeiten. Ich habe keine Angst vor Armut. Ich habe auch keine Angst davor, dass ich eines Tages sagen könnte: Mich freut künstlerisch nichts mehr. Ich hab eher Angst vor ganz banalen Dingen wie Einsamkeit oder zu starke Nähe, Tod oder Krankheit.
Sie sind ein erfolgreicher Künstler, werden wie ein Wanderpokal durchs deutsche Feuilleton gereicht. Und trotzdem umgibt sie nach wie vor der Mythos vom ländlichen Unschuldskind.
Wenn der Begriff Unschuldskind fällt, dann hat das sehr viel mit dem Auftreten auf der Bühne zu tun. Aber es hätte keinen Sinn, nach fast zehn Jahren Kabarett so zu tun, als ob man naiv vom Land daherkäme. Das tue ich ja auch nicht. Aber ich mache meine Geschichten, wenn ich ein Programm schreibe, im Prinzip eigentlich noch mit demselben Lebensgefühl wie beim ersten Programm: Ich sitze da, allein, und schreib etwas, und das spiele ich dann und schau, was passiert. Grundsätzlich kann man alles mit einer gewissen Vorsicht dem Leben gegenüber umschreiben. Ich überlege es mir hundertmal, bevor ich irgendwo hineinspringe.
Dieser naive Blick, mit dem Sie ihre Spitzen servieren, hat auch sehr viel mit Jugend, mit Bubencharme zu tun. Und eigentlich habe ich Mühe, mir Josef Hader in 15 Jahren vorzustellen.
Das habe ich mir auch überlegt: Ist das jetzt Bubencharme, oder was ist es? Es hat wahrscheinlich etwas zu tun mit meiner Vorsicht, mit der Angst, verletzt zu werden. Und die hat man ein Leben lang. Im Leben kokettiere ich mit dieser Unschuld nicht. Außer im privaten Bereich, wenn ich etwas angestellt hab. Aber sonst ist es ja nicht so, dass ich an einem Image bastle wie der Michael Jackson, dass ich beispielsweise nicht einmal einen Erlagschein ausfüllen kann.
Was bedeutet für Sie die Macht, auf einer Bühne zu stehen – und ein paar hundert Menschen hören Ihnen zu?
Ich habe große Freude daran. Ich weiß genau, ich lebe da oben nicht die edelsten Triebe aus, aber es wäre schön in der Welt, wenn alle diese Triebe so auslebten wie ich. Im Prinzip gibt es keine gewaltfreie Kunst, es gibt auch kein gewaltfreies Kabarett, das wäre irrsinnig fad. Wirklich spannend ist für mich ein Film oder eine Theateraufführung, wenn mir Gewalt angetan wird. Weil’s mich plötzlich reißt. Der Hitchcock hatte bestimmt Freude daran. Und genauso hab ich Freude daran, wenn ich mitten im Programm unvermutet irgend etwas mache – und jeder zuckt zusammen.
Es macht auch deshalb Spaß, weil man dadurch inhaltlich viel weitere Grenzen hat. In dem Moment, wo ich auf der Bühne nicht mehr mächtig bin, muss ich dauernd Witze machen, damit ich die Leute bei der Stange halte. Wenn ich mächtig bin, bin ich viel freier und kann sehr radikale Dinge tun. Das Wichtigste, wenn einer zwei Stunden dort sitzt, ist doch immer: Ist es spannend? Dann kann ich ihn fesseln. Es ist nicht so wichtig, ob ich Sachen sage, die er auch glaubt. Oder ob ich Witze mache, über die er auch lachen kann. Man schafft eine Geschichte, die ein bisserl wie das Leben ist, in der das Brutale drin ist und das Schöne, und je mehr Farben man hat, desto besser.
Kommt es vor, dass Sie über Ihr Publikum wütend sind, es vielleicht sogar verachten?
Verachten nicht. Aber einzelne Leute gehen einem während einer Vorstellung mitunter schon auf die Nerven. Zum Beispiel im „Keller“, wenn sie dauernd anzubandeln anfangen, und ich kann mich nicht wehren, weil ich ja in meiner Rolle drinnen bin. Das ist ein momentaner Ärger, und den lebe ich auch meistens aus. Da fang‘ ich mir die Betreffenden schon. Ich unterbreche, geh hin, frag, was los ist und ob er auf die Bühne will, und dann erkläre ich ihm ganz langsam, dass das eine Art Theaterstück ist und dass ich eigentlich ganz wer anderer bin. Also, ich mach‘ ihn ein bisserl lächerlich.
Das klingt ziemlich brutal.
Das ist meine Art, mich zu wehren. Wenn einer etwas riskiert, muss er damit rechnen, dass ich zurückschlage. Für mich ist das ein Spiel, manchmal ein gefährliches, manchmal ein lustiges, und für die Leute ist es auch ein Spiel, und wenn sie die Regeln ändern, ändere ich sie auch. Das muss drinnen sein. Ich lass so jemanden ja nicht aus dem Saal schleppen.
In den jüngsten Programmen haben Sie sich durchwegs den Part des Ungustls zugewiesen: den schmierigen Witzeerzähler im „Bunten Abend“, den lamoyanten Werbeschnösel im „Keller“, den widerwärtigen Gastronomietester in „Indien“. Gibt es eine Aufteilung ihrer Persönlichkeit in einen lieben Dr. Josef im Privaten und einen grauslichen Mr. Hader auf der Bühne?
Nein, es geht um etwas anderes: Wenn mir zwei Stunden lang Menschen zuhören, dann gibt’s die Möglichkeit, dass ich ihnen durchgehend unsympathisch bin und sie provoziere. Dann machen sie zu. Oder es gibt die Möglichkeit, dass ich das lustige Kabarett mache, wo sie dann lachen können und ich ihnen sympathisch bin. Ich hab‘ die These, dass weder Provokation noch Übereinstimmung das wirklich Gute ist, sondern irgendetwas in der Mitte, das ich einmal mit Irritation umschreiben will. Das bedingt, dass die Figur auf der Bühne oder im Film eine Entwicklung durchmacht und einmal sympathisch, einmal unsympathisch ist, dass es permanent eine Anziehung und eine Abstoßung gibt zwischen Zuschauer und Figur.
Jetzt kann man eine Figur einsetzen wie in „Indien“ oder im „Keller“ oder im „Bunten Abend“: Am Anfang unsympathisch – und am Schluss sitzt nur mehr das arme Würstel da. Oder man macht’s umgekehrt: Man spielt ein armes Würstel, das dann immer grauslicher wird. Ich möchte die Leute am Schluss schon mit sehr vielen zerstörerischen Dingen im Kopf hinausschicken, aber auch mit einem warmen Gefühl im Bauch. Ich glaube, dass die Leute dann lieber auch am nächsten Tag noch darüber nachdenken – und das muss doch wenigstens unser Ziel sein, wenn wir schon wissen, dass wir die Welt nicht verändern können.
Eine weitere Gemeinsamkeit Ihrer letzten Arbeiten ist die Allgegenwart des Todes.
Der Tod ist ein besonders reizvolles Thema, weil’s mir immer um die Kontraste geht: das Grausliche – das Schöne, das Feinfühlige – das Ordinäre, das Gscheite – das Blöde. Da passt dazu, wenn man sagt, man macht etwas Lustiges über den Tod. Gleichzeitig ist der Tod eines der wenigen Tabus, die es in unserer Zeit gibt. Es ist ja nicht mehr so wie in den Fünfzigerjahren, als man nur über Vergangenheit im Dritten Reich zu reden brauchte, und ein Aufschrei ging durch Österreich.
Der Tod ist auch ein gutes Thema, um Werte zu relativieren. So wie ein Prediger immer versucht, die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu zeigen, um die Sinnlosigkeit materieller Werte zu demonstrieren. Dafür kann man den Tod auch dramaturgisch sehr gut einsetzen. Und gleichzeitig ist es ein Thema, das mich persönlich beschäftigt. Sonst würd’s nicht so oft vorkommen.
Sie haben sich jahrelang in Ihren Programmen parteipolitischer Aussagen enthalten. Umso mehr verwunderte es, Sie in einem Personenkomitee für den Präsidentschaftskandidaten Robert Jungk zu finden.
Gerade weil ich in dem, was ich am Abend sage, das eigentlich nicht behandeln will, weil ich Themen so abhandeln will, dass es auch mir Spaß macht, genau deshalb ist es notwendig, jenseits der Bühne manchmal klar Stellung zu beziehen. Ein Beispiel: Es war die Zeit des FPÖ-Volksbegehrens. In Ried im Innkreis haben die Veranstalter vor meiner Vorstellung ein Manifest gegen das Volksbegehren verlesen, und da hat es Leute im Publikum gegeben, die haben widersprochen und sind gegangen. So weit sind wir mit dem Kabarettpublikum in manchen Gegenden. Und da bin ich dann hinter der Bühne gestanden mit meinem „Keller“-Programm und hab‘ mir gedacht: Scheiße. Da hätte ich schon gern gesagt, was los ist – während der Vorstellung.
Für das nächste Programm habe ich mir deshalb auch vorgenommen, alle diese Fakten, die man schon nicht mehr hören kann, dass halt ein Drittel der Weltbevölkerung die anderen zwei Drittel als Sklaven hält und so weiter, zum Thema zu machen. Ich muss dafür irgendeine raffinierte Form finden, die ich noch nicht kenne, damit die Leute das Gefühl haben, sie hören das zum ersten Mal. Außerdem ist das nächste Programm ohne Bühnenbild, ohne Kunstfigur, nur der Hader, der plaudert.
Gibt es eine besondere gesellschaftspolitische Verantwortung des Kabarettisten?
Nicht mehr und nicht weniger als bei jedem anderen. Der Bäcker soll ja auch ein gutes Brot backen, in dem wertvolle Inhaltsstoffe drinnen sind. Insofern unterscheidet mich nichts von ihm – in der Art wie ich meinen Beruf auffasse. Und gesellschaftspolitisch haben wir dieselben Pflichten. Zuerst bin ich da, und dann ist da meine Arbeit, aber nicht: Ich bin irgendwie, aber dafür ist meine Arbeit gesellschaftspolitisch. Das ist bei denen so, die recht groß über die Botschaft reden. Wie bei den Männern, die immer ganz laut über ihre Frauenabenteuer erzählen; das sind die, die keine haben.
Sie haben eigentlich fast alles erreicht, was ein Künstler in Ihrem Metier erreichen kann. Welche Ziele haben sie noch?
Um diesen Beruf, der da nicht greifbar zwischen den Begriffen, Schreiber, Spieler, Gesellschaftsveränderer, Komiker herumwurstelt, auf längere Zeit gut machen zu können, ist immer eine Herausforderung notwendig. Das heißt, dass das nächste Programm immer anders sein muss als das vorhergehende; das heißt aber auch, dass man einmal probiert, einen Film zu machen. Die Kunst, glaube ich, liegt für jeden, egal ob er jetzt Kabarettist, Maler, Schauspieler oder sonst etwas ist, darin, dass man immer wieder solche Herausforderungen für sich selbst schafft. Und dass man dadurch den Spaß behält. Besser: die Lust. Und wenn ich einmal ganz angeödet sein sollte von allem, dann habe ich wahrscheinlich so viel Distanz zur Welt gekriegt, dass ich ganz gut aufgehoben bin in einer städtischen Bücherei.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, Samstag, 9. Oktober 1993