Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen. Sagt man. Mit Recht. Die Restitution des Hakoah-Sportplatzes, der Schutz städtischen Grünraums – und warum es ein Fortschritt ist, wenn man einander „nur mehr“ nicht versteht: Protokoll eines Augarten-Anrainers.
Rex, Hasso, Tasso? Vielleicht Rambo. Ja, Rambo könnte er heißen. Rambo wedelt. Herrchen wirft Tennisball, Rambo apportiert. Herrchen wirft Tennisball, Rambo apportiert. Welch ein Hundeleben, hier, in der Hundeverbotszone. Zugegeben, Rambo und Herrchen sind nicht zum Vergnügen da. Nicht nur. Sie sollen die Zwi-Perez-Chajes-Schule bewachen, Kindergarten, Volksschule und Gymnasium der Israelitischen Kultusgemeinde, die sich dicht an den Wiener Augarten schmiegt. Gleich jenseits der Augarten-Mauer hat man für das Wachpersonal eine graue Zelle mit düster getönten Fensterscheiben aufgestellt und für Rambo & Co einen schmalen Streifen Wiese abgezäunt; aber welchen Hund und welches Herrchen sollte es schon auf den paar Quadratmetern halten, wo gleich nebenan eine Augarten-Wiese lockt. Hundeverbot hin oder her. So ein Wachhund ist schließlich nicht irgendein Hund.
Ginge es freilich nach dem Willen der Kultusgemeinde, dann wäre dort, wo jetzt Rambo wedelt und Herrchen Tennisbälle wirft, schon längst ein knapp 6000 Quadratmeter großer Sportplatz, darunter, gut zehn Meter in den Augarten-Boden eingesenkt, eine Mehrzwecksporthalle samt Lichtschacht, Squash-Plätzen und Tiefgarage, daneben ein dreigeschoßiges Vereinsgebäude mit Tischtennisraum, Gymnastikraum, Küche, Garderobe, Klubräumen, kurz die neue Heimstatt des jüdischen Traditionsklubs Hakoah.
Wien, 5. Dezember 2001. Ich danke sehr für Ihren freundlichen Brief vom 26. November 2001 und kann Ihnen sagen, dass ich Ihre Sorge um die Bewahrung denkmalgeschützter Gartenanlagen durchaus verstehe. Ich persönlich kann nur an alle Beteiligten appellieren, sich Kompromissen nicht zu verschließen. Ihr Dr. Kurt Scholz, Magistratsdirektion der Stadt Wien, Restitutionsangelegenheiten.
5:1. Ein Sieg über den Akademischen Sportclub 1908 ist das erste öffentliche Lebenszeichen des Sportclubs Hakoah. Gemeldet im „Neuen Wiener Abendblatt“ vom 8. September 1909. Dass die konstituierende Generalversammlung des Klubs erst knapp drei Wochen später stattfindet, mag hinlänglich die Dringlichkeit des Bedürfnisses illustrieren, das es zu stillen gilt: „Um die Jahrhundertwende, teilweise vorher, wurden Juden aus den zahlreichen Turnvereinen der meisten österreichischen Nationalitäten und einer Reihe Sportvereinen verdrängt“, notiert John Bunzl in dem Band „Hakoah – Ein jüdischer Sportverein in Wien 1909-1995“ (Verlag Der Apfel, Wien). Genau der allenthalben grassierende Antisemitismus lässt seinerseits die Idee von physischer Wehrhaftigkeit naheliegend scheinen.
Die Zeit für einen jüdischen Sportklub in Wien ist jedenfalls gekommen. Tatsächlich entwickelt sich Hakoah rasch zu einem Erfolgsprojekt – gegen den Widerstand in den eigenen Reihen und gegen den noch viel handfesteren von außen. „Immer wieder musste den Juden Wiens vor Augen geführt werden, dass ihre Jugend körperlich nicht schwächer sei als die übrige“, berichtet Arthur Baar, Hakoah-Veteran der ersten Stunden. Und: „Sie hatten es nicht leicht, diese Pioniere der Hakoah, die oft genug von fanatischen feindlichen Anhängern mit Steinen beworfen wurden, deren Tormann nicht nur die Angriffe der gegnerischen Stürmer abzuwehren hatte, sondern sich auch gegen die Attacken der Zuschauer schützen musste.“
Dennoch: Hakoah wächst – gegen alle Widerwärtigkeiten. Der Fußballsektion folgen bald Leichtathletik, Ringen, Schwimmen. 1913 findet man in Floridsdorf, auf dem sogenannten Bruckhaufen, eine erste Heimstatt, 1923 wird der neue Hakoah-Sportplatz im Prater, zwischen Krieau und Handelskai, mit einem Sportfest eingeweiht: ein Fußballfeld, rundum Platz für 25.000 Zuschauer, ein eigenes Hockey-Spielfeld, sechs Tennisplätze, zwei Kabinenanlagen, ein Buffet.
Die Saison 1924/25 sieht Hakoah als Fußballmeister, die österreichischen Mannschaftsmeisterschaften im Hockey und Ringen werden gewonnen, weiters sieben Meisterschaftstitel im Schwimmen. Hakoah ist zum größten und zum erfolgreichsten Allround-Sportverein Österreichs geworden.
Im Jahr 1936 sorgt die vielfache österreichische Meisterin im Freistilschwimmen und Kraulen Judith Deutsch international für Aufsehen, als sie sich gemeinsam mit zwei weiteren Hakoah-Klubkolleginnen weigert, an den Olympischen Spielen in Berlin teilzunehmen. Wenig später ist Österreich nicht mehr Österreich, der Name Hakoah aus den Ergebnislisten der laufenden Meisterschaften getilgt, der Sportplatz im Prater beschlagnahmt. Als am 10. Juni 1945, wenige Wochen nach der Befreiung Wiens durch die Alliierten, Hakoah wiederaufersteht, sind die Alt-Hakoahner, so nicht von den Nazis ermordet, über die ganze Welt verstreut, und in Wien leben weniger Juden, als Hakoah allein noch 1938 Mitglieder gezählt hat: ein paar tausend.
Wien, 19. Dezember 2001. In Beantwortung Ihres Schreibens vom 11. Dezember darf ich Ihnen mitteilen, dass es mehrere Gespräche mit Vertretern der Kultusgemeinde, den Sportvereinen Hakoah und Maccabi und allen Fraktionen der Bezirksvertretung gegeben hat. Persönlich habe ich auch Gespräche mit einigen Anrainern geführt, deren Anliegen ich sehr ernst nehme und deren Sorge ich verstehe. Mit freundlichen Grüßen, Gerhard Kubik, Bezirksvorsteher des 2. Bezirkes der Stadt Wien.
Kurt Scholz hat nachgeforscht: „Man hat seit 1945 immer wieder Versuche gemacht, Hakoah die Sportstätte zurückzugeben. Nach den mir vorliegenden Unterlagen zum ersten Mal 1946, den historischen Platz in der Krieau, der allerdings mit Bombenschutt zum Teil angefüllt war. Das Angebot ist damals als nicht sehr attraktiv empfunden worden.“ Weitere städtische Offerte folgen. Doch eine Einigung bleibt aus. Dennoch: „An Versuchen, den alten Hakoah-Platz wiederherzustellen, hat es seit 1945 nicht gemangelt.“
Ariel Muzicant sieht das anders: „Es gab 1945 irgendwann die Diskussion, ob man den Hakoahnern irgendetwas gibt, die waren damals nicht einmal in der Lage, sich das Brot zu kaufen, geschweige denn wieder einen Sportplatz zu betreiben“, erzählt der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. „Als die Hakoah sich dann wieder formiert hat, hat sie sich an die Stadt Wien gewandt, und da hat es geheißen, der Akt ist verlorengegangen, verschollen, man weiß nicht. Das ging viele Jahre so dahin.“
In den Achtzigern tritt man an Bürgermeister Helmut Zilk in Sachen Hakoah heran. Und der reagiert rasch. „Sowohl Zilk als auch sein damaliger Sport- und Umweltstadtrat Häupl haben unser Anliegen vom ersten Moment an als berechtigt akzeptiert“, erinnert sich Hakoah-Präsident Paul Haber. „Und die haben in kurzer Zeit auch einen Vorschlag gemacht.“ Der fragliche Platz liegt freilich in Strebersdorf und also für Kultusgemeinde wie Hakoah allzu zentrumsfern.
Mittlerweile ist die Zwi-Perez-Chajes-Schule in ihr Stammquartier in der Castellezgasse zurückgekehrt, und der Mangel an räumlichen Entfaltungsmöglichkeiten lässt alsbald hoffnungsfrohe Blicke über die Augarten-Mauer im Hinterhof schweifen. Als 1988 der Bund, konkret das Innenministerium, Interesse an einem Grundstück der Kultusgemeinde auf der Hohen Warte zeigt, ist rasch ein Vorschlag zur Hand: Tausche Hohe Warte gegen jenes Stück Bundesgärten-Baumschule im Augarten, das an die jüdische Schule grenzt. Der Handel scheitert zwar, doch der Gedanke, das Gerechte mit dem Nützlichen zu verbinden, setzt sich fest: ein Sportplatz im Augarten als Wiedergutmachung für den Hakoah-Platz im Prater, ein Sportplatz, der zugleich von der Schule nebenan nutzbar ist. Dass Hakoah historisch bis dahin mit dem Augarten rein gar nichts zu tun hat, dass da zudem dem ältesten Barockgarten Wiens wieder einmal ein Stück herausgerissen werden soll, kümmert jene, die eine Baumschule ohnehin nur „Gstätten“ nennen, naturgemäß wenig.
Wien, 27. Dezember 2001. Dass der Bereich Augarten überhaupt einer Überprüfung unterzogen wurde, war ausdrücklicher Wunsch der Hakoah. Die Stadt Wien war es, die auch andere Standorte vorgeschlagen hat. Mit freundlichen Grüßen, Dipl.-Ing. Rudolf Schicker, Amtsführender Stadtrat für Stadtentwicklung und Verkehr von Wien.
„O welch‘ ein Anblick! welche Wollustscene! / Welch‘ anmuthsvolle Schatten schatten hier! / Wie süsse Würze düften von den Zweigen, / Die itzt der Lenz zum neuen Leben weckt!“ Als Peter Fischer-Colbrie 1989 sein Amt als Bundesgärten-Direktor antritt, ist nur mehr dunkel zu erahnen, was Johann Baptist Harmayr 1775 am „Tag des eröffneten Augartens“ an gärtnerischen Wundern besang. Allzufern scheint jene Zeit, da Joseph II. den Wienern das ehemals kaiserliche Jagdrevier als „allen Menschen gewidmeten Erlustigungs-Ort“ überließ, da es zum guten Ton gehörte, im verwirrenden Geflecht der Alleen und Boskette zu lustwandeln.
Zudem hat Josephs vormaliges Schmuckstück durch spätere Einbauten einigermaßen gelitten: Wer auch immer ein Flächenbedürfnis hatte, im Augarten wurde es befriedigt. Vier Schulsportplätze, ein Kinderfreibad, zwei Flaktürme, ein staatliches Atelier für einen ebensolchen Künstler, diverse Erweiterungsbauten für die Porzellanmanufaktur, ein Pensionistenheim, all das und noch mehr wurde im vergangenen Jahrhundert in den Augarten gestopft. Motto: Der Rest ist Park.
Doch Fischer-Colbrie lässt sich’s nicht einmal durch knappe Budgetmittel verdrießen: Aus dem „Straflager der Bundesgärten“ soll wieder das werden, was es in Wahrheit, trotz all der Schrammen, noch immer ist – ein gartenarchitektonisches Juwel. Erst holt er junges, engagiertes Personal, dann setzt er sich mit der Augarten-kundigen Landschaftsgestalterin Maria Auböck zusammen und bastelt an gärtnerischen Visionen: „Da wurde uns klar, dass wir im Augarten sicher nicht eins zu eins einen historischen Zustand herstellen können. Auf der einen Seite sind die vielen Besucher mit den sehr unterschiedlichen Nutzerwünschen. Auf der anderen Seite soll der Augarten auch nicht verkommen. Und so haben wir eine Strategie entwickelt, mit der wir beides berücksichtigen können: die Erhaltung und Pflege historischer Struktur und die Freizeitbedürfnisse der Bevölkerung.“
Wesentlicher Teil des Konzepts: die Wiederbelebung des englischen Augarten-Teils, der parallel zur Castellezgasse das Parkgelände an der Ostflanke begrenzt. Hier scheint es Fischer-Colbrie und Auböck naheliegend, eine „Kulturachse“ zu etablieren, die zum einen dem Augarten-Image nützen könnte, zum anderen auch touristische Umwegrentabilitäten verspricht, finden sich hier doch Österreichisches Filmarchiv, Porzellanmanufaktur Augarten, Wiener Sängerknaben und das Atelier Augarten der Österreichischen Galerie samt Skulpturengarten aufgefädelt.
Fischer-Colbrie und seine Gärtner gehen ans Werk: Im April 1995 wird ein Teil der Baumschule an der Augarten-Mauer der Bevölkerung als Liegewiese zurückgegeben, vergangenes Frühjahr in einen auf Joseph II. rückführbaren Zustand versetzt. Und all die obgenannten Institutionen samt Liegenschaftsverwalter Burghauptmannschaft verbünden sich – man glaubt es kaum – zu einer Arbeitsgemeinschaft: der Initiative „Kulturpark Augarten“. Nur: Was wird aus all den Plänen, wenn ein Hakoah-Sportplatz genau in jenem englischen Bereich die „Kulturachse“ in zwei Stücke teilt?
Wien, 28. Dezember 2001. Persönlich bin ich Ihnen sehr dankbar, dass eine Entschädigung von Hakoah für Sie außer Frage steht. Der Fairness halber muss ich sagen, dass bisher alle Schreiben, die mich in der Angelegenheit erreicht haben, frei von jenen Untertönen waren, die man manchmal berechtigten Forderungen jüdischer Bürger gegenüber erlebt. Ihr Dr. Kurt Scholz, Magistratsdirektion der Stadt Wien, Restitutionsangelegenheiten.
Renate Daimler will nicht mehr darüber reden. 1997 hat sie die Anrainerproteste gegen die Errichtung der Lauder-Chabad-Schule im Augarten angeführt, als Sprecherin des Vereins „Rettet den Augarten“. Und ihre Erfahrungen mit damaliger Diskussionskultur scheinen nicht geeignet, in Nostalgie oder sonstwie gern zurückzublicken. Dieter Schreiber, Leiter der Stadtteilinitiative Aktionsradius Augarten, erinnert sich: „Damals ist wüst mit Dreck herumgeworfen worden, ziellos. Es hat vereinzelt krasse antisemitische Äußerungen gegeben, die dann unfairerweise mit der damaligen Anrainerinitiative oder auch mit uns in Verbindung gebracht wurden.“
Schreiber und sein Aktionsradius machen sich die Entscheidung pro oder kontra Schule nicht leicht. In einer eigenen Veranstaltungsreihe, „Die verlorene Insel“, beginnen sie mit den Nachforschungen über die Vertriebenen ihres Viertels und deren Erbe. Das Ergebnis: „Wir haben gesagt: Wir sind zwar generell gegen eine weitere Verbauung des Augartens, allerdings sind wir nicht zuletzt auf Grund unserer Recherchen der Meinung, dass gerade im Augarten ein deutliches Zeichen an die jüdische Bevölkerung gesendet werden muss, und aus diesem Grunde sind wir dafür, dass die Lauder-Chabad-Schule dort gebaut wird, als Zeichen der Versöhnung. Gleichzeitig haben wir aber auch festgehalten: Das soll die letzte Verbauung des Augartens sein, wer immer kommen möge.“
Die 7000 Unterstützungsunterschriften, die „Rettet den Augarten“ binnen Kürze gesammelt hat, motivieren auch Politiker aller Couleurs und insonderheit jene des Bezirks, jeder weiteren Verbauung des Augartens abzuschwören: Der Lauder-Chabad-Campus noch, dann muss Ruhe einkehren in den Rosskastanien-Alleen.
Doch was ist seit der ersten Idee, seit 1988, aus Muzicants und Habers Hakoah-Projekt geworden? Es hat sich heillos im Wirrwarr der Kompetenzen verheddert. Wobei man sich’s auch nicht gerade leichtgemacht hat: Schließlich fordert man als Wiedergutmachung von der Stadt Wien ein Grundstück, das dem Bund gehört. Dass dort gleich zwei Ministerien, das der Wirtschaft und das der Landwirtschaft – mit jeweils unterschiedlichen Kompetenzen – zu befragen sind, macht die Sache nicht einfacher.
Während Thomas Feiger, Architekt des Hakoah-Projekts, hinter all dem Hin und Her heute „Absprachen zwischen den verschiedenen Dienststellen“, also vom beamteten Unten, vermutet, versuchen Kultusgemeinde und Hakoah im Gegenzug, vornehmlich durch Beeinflussung des politischen Oben ans Ziel zu gelangen. Schließlich, so Paul Haber: „Beim Bund ist der Burghauptmann zuständig. Der Burghauptmann ist ein weisungsgebundener Beamter, der das umzusetzen hat, was ihm die politische Führung vorgibt. Das heißt, wenn er sagt: Nein, das geht nicht, dann brauchen wir das nicht ernst zu nehmen.“ So wird man in Österreich auch mit weniger komplizierten Materien als der gegenständlichen nicht weit kommen.
Wien, 9. Jänner 2002. Wie Sie sicherlich den Medien entnehmen konnten, stehen derzeit weitere Gespräche mit Vertretern des Sportvereins Hakoah bevor. Es wird erwartet, dass nach diesen Gesprächen ein breiter Konsens mit allen Beteiligten vorliegt. Mit freundlichen Grüßen, Ing. Michael Polak, Präsidialabteilung des Bürgermeisters.
Als im Jänner 2001 die Hakoah-Restitution in den Verträgen von Washington festgeschrieben wird (das Was und Wieviel, nicht jedoch das Wo), da steht der Augarten seit ein paar Monaten unter Denkmalschutz. Und Ariel Muzicant versteht die Welt nicht mehr: „Ich war im Denkmalamt und hab‘ gesagt: Erklären Sie es mir, ich will’s verstehen. Und da wurde gesagt, na ja, das Ensemble. Dort ist eine Baumschule. Also, was ist dort denkmalgeschützt?“ Kein Zweifel, Géza Hajós, zuständig für Gartenarchitektur im Bundesdenkmalamt, könnte was auch immer antworten, könnte noch soviel schwärmen von ebenjener Baumschule, die bis in die Zeit Josephs II. zurückgeht, er würde sicher nicht verstanden. „Wissen Sie“, sagt Erwin Pönitz, Raumplaner und Obmann der jüngst gegründeten Anrainerinitiative „Freunde des Augartens“, „ich kann mich erinnern, als die Diskussion um Hainburg war, hat man den ÖGB-Präsidenten Benya gefragt, was ist denn da unten in der Au, und da hat er geantwortet: Na ja, ein Gestrüpp. Für ihn war es ein Gestrüpp, und für die anderen war es einer der wenigen naturnahen Bereiche in der Nähe der Großstadt. Ähnlich ist es hier: Wenn ich da bauen will, dann sag‘ ich natürlich: Was vorher war, hat keinen Wert. Aber so einfach ist es nicht.“
Schließlich gebe es einen unübersehbaren „Mangel an Parkflächen in dichtverbauten Gebieten wie hier“. Und der Nutzerdruck auf den Augarten sei ohnehin schon sehr groß: „Um nicht missverstanden zu werden: Wir sind dafür, dass Hakoah einen Sportplatz bekommt – aber der Augarten sollte dafür nicht zur Verfügung stehen.“ Pönitz weiß auch Dieter Schreiber an seiner Seite: „Wir haben Doktor Muzicant schon 1998 schriftlich ein Gesprächsangebot gemacht. Er hat nie darauf reagiert. Und jetzt erst, als sich das Thema Hakoah-Platz zugespitzt hat und wir auch signalisiert haben, dass wir das Feld nicht kampflos räumen, erst jetzt, im vergangenen September, ist er an uns herangetreten und hat uns ein Gespräch angeboten. Ich bin der Meinung, wenn die Gespräche früher gelaufen wären, wenn das Ganze transparenter abgelaufen wäre, dann hätte man viel von dieser Zuspitzung vermeiden können.“
Wien, 15. Jänner 2002. Die Gartenanlage sollte nach und nach möglichst von strukturverändernden nachträglichen Einbauten und Abgrenzungen befreit werden. Diese Überlegung wird bei allen künftigen Lösungen entsprechend zu berücksichtigen sein. Mit freundlichen Grüßen, Für den Bundesminister, i. V. MR Pachner, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.
Seit eineinhalb Jahren bin ich Augarten-Anrainer. Seit eineinhalb Jahren schaue ich Tag für Tag von meinem Wohnzimmerfenster aus in den Hof der Zwi-Perez-Chajes-Schule, schaue auf Kinderrutschen und in Sandkisten, schaue auf Scheinwerfer und Überwachungskameras. Und hie und da sehe ich, wie das Wachpersonal auf der nächstliegenden Augarten-Wiese die Wachhunde Tennisbälle apportieren lässt. Aber sonst? Was weiß ich sonst von meinem Visavis?
Im Dezember 2001 beginne ich mit der Recherche. Bei Kultusgemeinde und anderweitig Betroffenen. Bei den „Freunden des Augartens“ genauso wie bei der Burghauptmannschaft. Erhalte zur Information Anrainerbriefe und die Antwortschreiben politischer und sonstiger Entscheidungsträger.
Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen. Sagt man. Mit Recht. Ein Wandel in der Diskussionskultur ist dennoch nicht zu übersehen. „Es gibt zwei faire Gegenpositionen“, meint Dieter Schreiber. „Unsere Gewichtung ist halt unterschiedlich, das sollte möglich sein, ohne dass man gleich untergriffig werden muss.“
Und Paul Haber ergänzt: „Es ist wie in der griechischen Tragödie: Zwei gleichberechtigte Standpunkte treffen aufeinander.“ Dass er im selben Atemzug für Hakoah eine „Geste“ einmahnt, die über das bloße Bereitstellen eines neuen Sportgeländes hinausgeht, ist verständlich. Weniger verständlich ist es, wenn ein Hakoah-Engagierter die Augarten-Anrainer insgesamt als potentielle „Ariseure“ diffamiert.
Wie auch immer: Glaubt man den städtischen Auguren, dann ist „Hakoah im Augarten“ abgesagt. In Ariel Muzicants Worten: „Es ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass man jetzt ein Projekt woanders realisieren wird.“ Woanders? Wie man hört, wahrscheinlich dort, wo Hakoah schon in der Zwischenkriegszeit zu Hause war: im Prater, zwischen Krieau und Handelskai.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 26. Jänner 2002