Was es bedeutet, fremd zu sein: Autobiografische Comics vom lauten Kampf der Kulturen und vom leisen Kampf ums Überleben.
„Entegration“ steht auf dem Schild im Wiener Donaupark zu lesen, und nein, es handelt sich nicht um ein Versehen, vielmehr um ein Spiel mit Worten: Soll doch auf die gelungene Ansiedlung einer eigentlich fernöstlichen Entenart, der Mandarinenten, in hiesigen Parkanlagen hingewiesen werden.
So scherzhaft geht es selten zu, wenn die Sprache auf das Heimischwerden eines an sich Fremden kommt. Verlässlich wird jede Debatte um das Thema Integration von einem schrillen Chor der vielen falschen Töne begleitet, irgendwo zwischen informationsbefreit instinktgetriebener Aversion und absichtsvoller Niedertracht.
Für sich genommen keine Neuigkeit: Nur dass das dumpfe „Ausländer raus“ von ehedem längst die anrüchigen Spelunken von Extremisten und oppositionellen Volkstribunen hinter sich gelassen und sich ins Programmatische der vorigen Regierung hinaufgearbeitet hat – in einschlägigen Materien wie dem Fremdenrecht sowieso, aber auch in Sozialgesetzgebung oder Bildungspolitik.
Das Geschwätz vom „Bevölkerungsaustausch“ dröhnte, nur wenige Wochen ist es her, in hiesigen Ohren, die „Heimatschützer“ eilten auf EU-Wahlplakaten durchs Land, als habe die heimische Geschichte nicht genug Nachweise geliefert, wie Heimatschutz zerstört, was er zu schützen verspricht. Und wo es vordem einer Gesellschaft erklärtermaßen zur Ehre gereichte, offen zu sein, singt man heute das Hohelied auf Zäune, Mauern, Nato-Draht.
Niemanden darf erstaunen, dass die Stimme der Vernunft in diesem Lärmen kaum je ins allgemeine Bewusstsein dringt. Genauso wenig wie die Stimmen jener, um die es doch im Eigentlichen geht: Die Stimmen der Zuwanderer, Migranten, der Wirtschaftsflüchtlinge, Asylwerber und wie sie alle bezeichnet werden je nach Rechtsstatus ihrer verzweifelt-zweifelhaften Existenz jenseits der Grenzen ihrer Heimat. Was bedeutet es, fremd zu sein? Was bedeutet ein Leben zwischen den Welten?
Letztgenanntes erfährt man seit Jahren zuverlässig von Riad Sattouf, zumindest was den nimmermüd beschworenen Culture Clash zwischen Orient und Okzident betrifft. Schließlich: Der französische Zeichner, Jahrgang 1978, zieht seine Expertise aus eigenem Erleben.
Der Vater nach Sattoufs eigenem Bekunden ein „rechtsextremer Araber“, die Mutter Französin aus aufgeklärt-liberalem Haus – da scheint schon rein innerfamiliär einiges an integrativen Anstrengungen geboten, noch dazu wo sich die Kindheit des kleinen Riad und seiner alsbald zwei Geschwister weit mehrheitlich im Nahen Osten begibt: Erst in Libyen, später lange Zeit in der engeren Heimat seines Vaters, Syrien.
Auf seiner Reise in die Vergangenheit ist Sattouf mit dem aktuellen Band vier seiner Comicserie „Der Araber von morgen“ in der eigenen Pubertät angekommen, einschlägige Gefühlsverwirrungen inklusive. Damit aber auch in einer Zeit, in der sein Vater mehr und mehr den Sorbonne-Absolventen, als den ihn seine abendländische Frau kennengelernt hat, hinter sich lässt, um zu seinen (vermeintlichen?) morgenländischen Wurzeln zurückzukehren. Es ist die Geschichte einer Entfremdung, Radikalisierung, die in unmerklicher Mählichkeit vor sich geht und in einem Eklat gipfelt, den Sattouf selbst als ein „Familiengeheimnis“ benennt, von dem er sich mit diesem Band befreit habe.
Nein, Sattoufs „Araber von morgen“ befördert keineswegs die Vorstellung, die Begegnung des Verschiedenen münde quasi von allein in ein launig multikulturelles Kaffeekränzchen. Im Gegenteil: Mit sich selbst nicht schonender Akribie (und wohltuender Distanz) zeigt Sattouf Konfliktzonen im Umgang unterschiedlicher Kulturen genau dort, wo sie am virulentesten spürbar werden – in jenen vorgeblichen Selbstverständlichkeiten des Alltags, die für die jeweils damit nicht Vertrauten weder selbstverständlich noch alltäglich sind. Mit derselben Verve freilich weist er auch nach, was jede Verständigung schon im Ansatz unterbindet: Die bedenkenlose Dämonisierung des je Unbekannten. Und die eint, wir erfahren es dieser Tage zur Genüge, die Xenophoben allerorten – nicht zuletzt die des Morgen- und des Abendlands.
Freilich, es muss nicht gleich der große Kampf der Kulturen sein, der trennt, wo ein gemeinsames Fortkommen für alle Beteiligten die in jeder Hinsicht klügere und komfortablere Option wäre. Da genügt schon der Kampf, der sich aus unterschiedlichen sozialen wie wirtschaftlichen Voraussetzungen ergibt. Darüber weiß die junge polnische Zeichnerin Daria Bogdanska einiges zu berichten: Als Mittzwanzigerin hat sie ein Comic-Lehrgang ins schwedische Malmö geführt, an die dortige Kunsthochschule – und da erfährt sie am eigenen Leib, wie das so ist, das Leben als Migrantin, mittellos, durch fremdenrechtliche Bestimmungen in die Illegalität gedrängt, ausgebeutet. Gezwungen in ein Prekariat, an dem genau jene, die sie zwingen, auch noch bestens profitieren.
„Von unten“ ist Bogdanskas autobiografischer Report auf Deutsch betitelt, und unten, da kennt sie sich aus: unten in ihrer Kellerwohnung, unten in der Hackordnung des Wohlfahrtsstaats, unten in Arbeitsverhältnissen, die viel mit Sklaverei und nichts mit EU-Standards verbindet. Jenseits dieses Befunds liest sich „Von unten“ auch als Plädoyer für die Veränderlichkeit des scheinbar Unveränderlichen. Bogdanska nimmt nichts hin, sie nimmt den Kampf gegen die Gegebenheiten auf. Und unterstützt von einer schwedischen Journalistin triumphiert sie – für sich und für alle, die vielleicht aus ihrem Bericht Hoffnung schöpfen. Heute wird die vormals Ausgestoßene, international gefeiert, als „Zeichnerin aus Malmö“ wahrgenommen: Erfolg hat bald wo ein Zuhaus.
„Presse am Sonntag“, 2. Juni 2019