Comic und Wirklichkeit: Peng!

Lustige Bildgeschichtchen. Gut. Oder Action pur mit viel Krawumm. Warum nicht? Aber Wirklichkeit im Comic: Ja kann das denn sein? Autobiografisches, gezeichnet: von Hiroshima bis zum deutschen Studentenleben – ein aktueller Überblick.


 

PENG. ÄCHZ. STÖHN. UAARG. Wir sehen schon an so viel lautmalerischem Aufwand, dass das Metier der Comics nicht gerade als Muster der Gewaltfreiheit durchgehen kann. Ja mehr noch: Gewalt und ihre Darstellung ist nahezu konstitutives Merkmal des Mediums, und es ist keineswegs Zufall, dass manche Mitglieder älterer Generationen unter dem klangvollen Signet „Tschinbum-Hefterln“ Groschenromane wie die Jerry-Cotton-Serie mit Micky Maus, Sigurd & Co zumindest umgangssprachlich zu einer Gattung einten.

 

Tatsache ist: Von Dagobert Duck im ewigen Kampf gegen die Panzerknacker über Asterix und Obelix im ewigen Kampf gegen die Römer bis hin zu Superman im ewigen Kampf gegen das Böse an sich – allenthalben wird geschlagen und gestoßen, gewürgt, gebissen und fallweise umgebracht, jedenfalls auf irgendwelche Arten attackiert, regelmäßig, rituell. Und wo es in dem einen Fall die aggressive Dynamik der Slapstick-Comedy ist, der man dramaturgische Wirkungen abschaut, ist es – sozusagen am anderen Ende der Comics-Gewalt-Skala – jene bluttriefende Bildsprache, wie man sie aus den Splattermovies kennt. Beides ist auf seine Weise Stilisierung, von Realismus und schon gar von Realität mindestens so weit entfernt wie Rambo vom Vietnam-Krieg.

 

Muss es da nicht von vornherein zynisch wirken, sich mit demselben Formenrepertoire der Wirklichkeit, zumal einer Wirklichkeit in ihrer grausamsten Ausprägung, annähern zu wollen? Art Spiegelman hat es vor Jahren versucht und mit „Maus“ gleich einen eindringlichen, zu Recht mit dem Pulitzerpreis gewürdigten Nachweis für die dokumentarische Leistungsfähigkeit des Comics erbracht. Denn auch wenn er seine Shoah-Erzählung vom Überleben seines Vaters und von seiner eigenen insistierenden Wahrheitssuche in das Kleid der Fabel hüllt – die Nazis als Katzen, die Juden als Mäuse -, so ist das Ergebnis dennoch so nah an dem, was war und wie es war, als es nur möglich scheint.

 

ZUR SELBEN ZEIT, als Spiegelman mit der Arbeit an „Maus“ begann, Ende der Siebziger, lag ein vergleichbar gewichtiges autobiografisches Werk schon vor: Keiji Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“. „,Barfuß‘ hat sich mit der ganzen Intensität eines Fiebertraums in mein Gehirn gebrannt“, schreibt Spiegelman im Geleitwort der deutschsprachigen Ausgabe, die soeben – erstmals vollständig – bei Carlsen herausgekommen ist. „Noch lange danach erinnerte ich mich an Bilder und Geschehnisse aus den ,Barfuß‘-Comics so klar, als hätte ich sie selbst und nicht Nakazawa sie erlebt.“

 

Wie in Spiegelmans „Maus“ entsteht auch in Nakazawas Hiroshima-Tetralogie diese Nachdrücklichkeit aus einer entschlossenen Reduktion der Mittel: Nicht die zeichnerische Dynamik, sondern die Stetigkeit des Erzählflusses steht im Mittelpunkt, ja manchmal könnte man fast meinen, die Optik bremse, wo die Erzählung die Geschehnisse vorantreibt, als gelte es, auf diese Weise das Unerträgliche einigermaßen erträglich zu machen. Umso erstaunlicher, da Nakazawa der Schule des japanischen Comics, der Mangas, entstammt, die uns heute eher durch ihren fahrigen Duktus mit schnellen Schnitten und rasanten Perspektivwechseln geläufig ist.

 

Eines freilich unterscheidet die beiden fundamental: Während Spiegelman Nachgeborener ist und seinen KZ-Bericht auch ganz bewusst als den eines Nachgeborenen deklariert, ist Nakazawa Zeitzeuge. Sechs Jahre war er alt, als am 6. August 1945 „Little Boy“ über seiner Heimatstadt detonierte, als der Atomblitz ihn nur zufällig verschonte, während sein Vater und zwei seiner Geschwister wie zigtausende andere sofort, zigtausende weitere an den Spätfolgen starben. Mit ihm und aus dem Blickwinkel eines Sechsjährigen erleben wir das militärisch hysterisierte Japan vor dem Atombombenabwurf wie das Japan in den Tagen danach, dessen Gesellschaft sich im Moment der Katastrophe ihrerseits zu atomisieren scheint, weil die jahrhundertealten sozialen Regeln, konfrontiert mit Unvorhergesehenem, ja Unvorhersehbarem, plötzlich in die Irre führen. Ob Nakazawa gelingt, was er sich am dringlichsten wünscht, seinen Lesern „den Mut und die innere Stärke“ zu verleihen, „die ein Leben in Frieden ermöglichen“, mag zweifelhaft sein. Vergessen, so viel steht fest, kann „Barfuß durch Hiroshima“ niemand, der es je gelesen hat.

 

AUCH MARJANE SATRAPI hat für ihren Bericht über Kindheit und Jugend das Medium Comic gewählt. Und abermals sind es strenge, fast statische Bildfolgen, in die da Selbsterlebtes gekleidet wird. In diesem Fall die Zeit der sogenannten islamischen Revolution im Iran. Gut möglich, dass der Auflagenerfolg von Satrapis Zweibänder „Persepolis“ (mehr als 20.000 verkaufte Exemplare, mittlerweile liegt, bei Ueberreuter, Wien, sogar eine Taschenbuchausgabe vor) unter anderem auf jenen westlichen Islam-Voyeurismus zurückzuführen ist, der sich im Gefolge von Betty Mahmoodys Megaseller „Nicht ohne meine Tochter“ eingestellt hat: Was für ein wunderbares Feindbild geben doch die bösen Perser mit ihren langen Bärten und ihren finsteren Rankünen ab!

 

Wer solche Erwartungen hegt, wird mit Gewissheit enttäuscht. Satrapis Autobiografie, wiewohl in starrem Schwarzweiß, handelt die Verhältnisse in ihrer Heimat sehr viel differenzierter ab, als sie uns die im Westen gängigen vorgeblichen Insiderberichte vor Augen führen wollen, deren scheinbar so üppiges Reportage-Kolorit auch nicht mehr als Schwarz und Weiß kennt. Und was das Exil ihrer Jugend, Wien, betrifft, entwirft Satrapi ein Bild, das in der kulturellen Verständnislosigkeit, ja Ignoranz, die ihr hier entgegenschlägt, gleichermaßen schaurig wie glaubwürdig ist. „Mir ist es wichtig zu zeigen, dass man die Menschen ebenso wenig in Gut und Böse aufteilen kann wie die Welt in Okzident und Orient“, meint Satrapi. Und legt demnächst ein wenig Orient-Verständnis-Schulung für den Westen nach: In „Sticheleien“ (Edition Moderne, Zürich) werde sie, so die Verlagsankündigung, „einen Einblick in den Alltag der bürgerlichen Frauen Teherans“ geben.

 

ES MUSS NICHT GLEICH KRIEG, Völkermord, politische Verfolgung sein, was ein Leben berichtenswert macht. Weder im Comic noch sonst. Wenn man etwa Robert Crumb heißt, dann genügt schon der Name und das damit verbundene Odium von Underground und Exzentrik, um ein beträchtliches allgemeines Interesse an autobiografischen Exkursen zu gewährleisten. So geschehen vor drei Jahren, als bei Zweitausendeins „Schmutzige Wäsche“ erschien, die deutsche Version der von Crumb gemeinsam mit seiner Frau, Aline Kominsky, gezeichneten Reporte aus dem Alltag eines professionellen Tabubrechers, aus denen nicht zuletzt – und wie könnte es anders sein – die wesentlicheren Sexualpraktiken im Hause Crumb zu entnehmen waren.

 

Die Kanadierin Julie Doucet ist kein Robert Crumb. Aber einigermaßen undergroundig – zumindest der optischen Anmutung nach – kommt ihr „New Yorker Tagebuch“ auch daher, verfasst in den Neunzigern. Wie sie ihr Gastspiel in der Riesenmetropole in Panels fasst, das riecht nach Sex, Drogen und vergammelten Hamburgern, aber gewiss nicht nach jener anregend urbanen Weltläufigkeit, die Doucet an Hudson und East River erhofft haben mag. Und weil es dem Moloch nicht gelingt, sie zu verschlingen, spuckt er sie wieder aus. Da klingen die biedersten family values durch, ein Hauch von verlorener Tochter, bekehrt und heimgekehrt, liegt über dem Finale – und so gar nichts mehr von einem kühn einzig dem Künstlertum folgenden Lebensentwurf. Aber auch das soll vorkommen.

 

UND WENN WIR SCHON bei family values sind: Die finden sich auch in Craig Thompsons „Blankets“ zuhauf. Aber hier werden sie nicht hinter der Oberfläche der Erzählung mittransportiert, hier sind sie unmittelbarer Gegenstand des Berichteten. Was Wunder, wo es doch um die – abermals autobiografische – Geschichte einer ersten Liebe in der US-amerikanischen Provinz geht. Wie es in diesen Regionen von Traditionen und konservativen Werten bis weit hinein ins puritanisch Prüde dampft, weiß jeder, der sich einmal für längere Zeit ins Ländliche des Mittleren Westens vorgewagt hat. Und hierzulande kann man sich diesbezüglich seit einiger Zeit und ab Herbst wieder von den „Desperate Housewifes“ unterweisen lassen, bequem vom Fernsehsessel aus.

 

Nun, Craig Thompson geht es nicht um Satire, allenfalls um milde Ironie, wenn er von sich und Raina, seiner Freundin aus College-Tagen, erzählt, von Annäherung und unausweichlichem Auseinanderdriften. Wie er das tut, mit wie viel liebevoller Sensibilität und gleichermaßen erzählerischer Distanz, ohne sich und sein Umfeld zu verraten, das macht „Blankets“ zu einer „graphic novel“, einem Bildroman, der diese Bezeichnung in ihrer vollen inhaltlichen Weite und Bedeutung – und nicht nur der Seitenzahl nach – verdient.

 

EIN WENIG LEICHTER – und deutlich schmaler – geben es Flix und Mawil mit den jüngsten Ausgaben ihrer Jugenderinnerungen. Beide zählen zu den Jungstars der deutschen Comics-Szene. Mawil alias Markus Witzel, Jahrgang 1976, wies schon 2003 mit seinem Debütband, „Wir können ja Freunde bleiben“, ein beträchtliches Gespür für die Seltsamkeiten des eigenen Alltags nach und hat nun mit der Geschichte seiner Schülerband, kurz „Die Band“, eine weitere Episode seiner Vergangenheit voller minuziöser Selbstbeobachtungen offenbart, wundersame Beispiele ebenjener unfreiwilligen Komik, die das Leben aus uns schlägt. Und Flix, detto 1976 geboren, hat seinem vielfach gefeierten Diplom-Comic „Held“ mittlerweile ein Spin-off, „Sag was“, folgen lassen, autobiografische Impressionen aus dem eigentümlichen Reich studentischer Liebeserfahrungen – also von dort, wo sich Schwärmerei und Groteske am nächsten sind. Pointen, behende hingetupft, nicht hingepatzt: so viel derzeit zum Klischee vom deutschen Humor.

„Die Presse“, „Spectrum“, 23. Juli 2005

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