„Auch zu Hause war ich Ausländer“

Mechaniker aus Transsilvanien, derzeit Wien-Rothneusiedl: Csaba Farkas.


Am 4. September 1990, wenige Monate nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, berichtete die „Presse“ unter dem Titel „Heute marschiert das Heer“: „Drei Bataillone des Bundesheeres, insgesamt etwa 2000 Soldaten, werden an der ungarischen Grenze dem illegalen Einwandererstrom Einhalt gebieten. Sie sollen, vorerst nur im nördlichen Burgenland, die völlig überforderte Exekutive unterstützen.“ Seither wurden hier knapp 40.000 Personen bei dem Versuch aufgegriffen, illegal nach Österreich zu gelangen.

Csaba Farkas hatte Glück. Er passierte schon im Frühsommer 1990 die grüne Grenze: „Damals sind viele so nach Österreich gekommen. Ich habe nicht gewusst, wie es geht, ich habe es einfach probiert – und es hat geklappt.“ Wenige Wochen davor war Farkas aus seiner transsilvanischen Heimat aufgebrochen: „Ich komme aus Rumänien, aber meine Muttersprache ist Ungarisch.“ Gut 70 Kilometer südöstlich von Tirgu Mureş , im Vorland des Hargitha-Gebirges, liegt sein Heimatort. Székelykeresztúr heißt er auf Ungarisch. Rumänisch: Cristuru Secuiesc. Deutsch: Kreutz. „Ich hatte keine wirtschaftlichen Probleme, nur politische. Die ungarische Minderheit war immer unterdrückt. Und wir haben eigentlich die ganze Jugend hindurch davon geträumt, irgendwie rauszukommen, in ein Land, in dem wir uns wohl fühlen können. Auch zu Hause war ich Ausländer; und das ist ein sehr schlechtes Gefühl.“

Österreich kannte der damals knapp 20-Jährige mit Matura und Mechanikerausbildung, der sich nebstbei als Handballprofi verdingte, aus den Sportnachrichten – und aus den Briefen von Bekannten: „In den Siebzigerjahren sind einige aus unserem Ort ausgewandert nach Österreich, und wir haben immer Kontakt gehalten, uns erkundigt, wie es ihnen geht in Österreich, was sie machen. Deshalb haben wir vieles gewusst.“

Die ersten Tage in der neuen Heimat: Meldung im Lager Traiskirchen, Asylantrag. Csaba Farkas: „Später kam ich nach Wien in eine Pension, und dort habe ich dann fast ein Jahr lang gewohnt. Die Bedingung war, dass man einen Arbeitsplatz sucht.“

Farkas findet eine Stelle bei einem Unternehmen für Bühnensysteme, wiewohl er kaum Deutsch spricht: „Die Menschen dort haben mich wunderbar behandelt, die haben mir auch geholfen, die Sprache zu lernen. Schritt für Schritt. Und ich habe viel gelesen, Zeitungen, Bücher, denn ich hatte keine Zeit, eine Schule, einen Kurs zu besuchen. Ich habe ja Tag und Nacht arbeiten müssen, da war an Deutschkurse nicht zu denken.“

Als Farkas zwei Jahre nach seiner Ankunft schließlich das Asyl verweigert wird, erhält er dennoch als Gastarbeiter eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Und mittlerweile hat er auch schon um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht: „Solange ich die nicht habe, fühle ich mich nicht sicher, dass ich in Österreich bleiben kann. Und ich möchte in Österreich bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, nach Rumänien zurückzukehren. Mein Leben hat sich so verändert, da wäre eine Rückkehr nicht mehr möglich.“ Ein Besuch zu Hause, das sei schon angenehm: „Das ist ja eine ganz andere Lebensweise, kein Stress. Aber leben könnte ich nicht mehr dort.“

Ob er denn in Österreich gar nichts vermisse? „Nur die Eltern. Wenn ich die vielleicht einmal in der Woche eine Stunde sehen könnte, das wäre schön.“ Und sonst? „Eigentlich nichts. Alle Freunde sind ja schon ausgewandert. Die meisten nach Ungarn. Drei Jahre nach meiner Ankunft in Österreich bin ich zum ersten Mal wieder nach Hause gefahren: Das war eine völlig andere Welt geworden. Man gewöhnt sich an das Schöne hier, und wenn man dann nach Rumänien kommt, dann sieht man das Schlechte umso deutlicher. Die Natur ist wunderbar, aber alles andere ist völlig zerstört. Als wäre alles gegen die Menschen gemacht worden.“

Wenn er heute mit Bekannten aus Rumänien zusammenkommt, dann denkt er natürlich zurück, schließlich: „Man ist ja irgendwie von der Vergangenheit abhängig. Aber das ist ein abgeschlossener Teil meines Lebens.“ Auch Farkas’ Bruder lebt mittlerweile in Österreich: „Er versucht jetzt, seine Frau und sein Kind nach Österreich zu holen. Doch das ist sehr schwierig. Es gibt eine Quote für die Familienzusammenführung, wie viele jährlich nach Österreich hereingelassen werden; wenn man in diese Quote fällt, dann klappt es, aber das weiß man nicht im Vorhinein. Derzeit kann mein Bruder zwei-, höchstens dreimal jährlich zu seiner Familie fahren. Das sind ja fast 1000 Kilometer von hier.“

Was Csaba Farkas , innerhalb von sechs Jahren in seinem Unternehmen vom einfach Arbeiter zum Montageleiter aufgestiegen, in Österreich ärgert? „Die weit verbreitete Ansicht, dass die, die vom Ausland kommen, überhaupt die aus den Ostländern, nichts wissen und nichts können. Die Menschen dort haben genauso etwas gelernt wie die hier, die haben sich genauso weitergebildet.“

Und außerdem: „Eine Wohnung zu finden, das ist ein besonderes Problem: Wenn man einen Akzent hat, wird gleich nachgefragt, woher man kommt – und dann wird’s schwierig.“ Und hätte Farkas nicht Freunde in Wien, dann wäre er gewiss nicht so schnell zu seiner Bleibe am Stadtrand gekommen.

Im Übrigen freilich fühlt er sich „schon ein bisschen als Österreicher“: „Ich möchte meinen Lebensort nicht mehr wechseln. Einmal im Leben ist genug. Einmal so etwas durchmachen, eine Sprache von null weg lernen, zwischen Menschen leben, die man nicht versteht, das ist nicht leicht. Ich hoffe, das werde ich nicht noch einmal tun müssen.“


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 18. Jänner 1997

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