75 Jahre Dagobert Duck: Ein Erpel für die Ewigkeit

Dem Fantastilliardär ist nichts zu schwer: von einem, der auszog, die reichste Ente der Welt zu werden – und in den Parnass der Populärkultur einging.

Zweitausendvierundzwanzig. So viele Treffer wirft eine der größeren Zitatesammlungen zum Stichwort Geld aus. Überaus beachtlich für einen Gegenstand, über den man doch angeblich nicht spricht. Tatsächlich kommt bald einmal wo die Rede auf das „liebe Geld“, vor allem, wo’s um unsere Ausgaben geht; unlieb ist uns dagegen seit je, uns konkret darüber zu verbreiten, über wie große finanzielle Mittel wir verfügen.

Einer, der diesbezüglich nie Zurückhaltung zeigte, ja ganz im Gegenteil, durchaus offensiv den Umfang seiner Barschaft annoncierte, belebt seit genau einem Dreivierteljahrhundert unsere Vorstellung davon, was es heißt, reich zu sein. Im Dezember 1947 hatte Dagobert Duck seinen ersten Auftritt: in einer Weihnachtsgeschichte von Carl Barks.

Zugegeben, da war von einem Vermögen, das nur in Fantastilliarden zu zählen sei, noch keine Rede, und innerhalb des Duck’schen Neffen-und-Onkel-Clans blieb dem personellen Neuzugang vorerst auch bloß eine Nebenrolle zugewiesen. „Christmas on Bear Mountain“ lautete der Titel der Story, und wie stets, wenn im englischsprachigen Raum auf das Weihnachtsfest die Sprache kommt, führt kaum ein Weg an Charles Dickens‘ „Christmas Carol“ vorbei. Nicht anders bei Barks: Dickens‘ Hauptfigur, der gleichermaßen reiche wie geizige Misanthrop Ebenezer Scrooge, wurde zur Vorlage für den gleichermaßen reichen wie geizigen Misanthropen Dagobert, im Original sinnfällig Scrooge McDuck genannt. Kapitalistenikone. Scrooge alias Dagobert sei damals nur die „erste Idee eines reichen, alten Onkels“ gewesen, bekannte Barks später, und tatsächlich weist die Figur bei ihrer Premiere deutliche Differenzen gegenüber dem Bild auf, das sie zur ikonografischen Verkörperung des Kapitalisten machen sollte. Jener erste Dagobert ist vergreist, gebrechlich, weit von jener Tatkraft entfernt, die ihn später auszeichnen wird: einer, der dem Grab näher scheint als der nächsten Großinvestition.

Barks selbst ist es, der die Schwächen seiner Schöpfung erkennt – und das Potenzial, das in ihr steckt. Nicht zuletzt liefert der notorisch erfolgreiche Dagobert den idealen Widerpart zum Loser Donald. „Wir brauchten jemanden, der Donald unterstützen konnte“, so Barks. Eine Unterstützung, die ihren Preis hatte: Der Sieger stahl dem Verlierer immer öfter die Show, man kennt das ja, nicht nur in Entenhausen.

Fünf Jahre nach seinem ersten Auftritt steht Dagobert erstmals im Mittelpunkt einer Duck-Geschichte, ein weiteres Jahr später widmet Barks ihm eine ganze Heftreihe: „Uncle Scrooge“. Dagobert ist auf dem Weg in den Parnass der Populärkultur. Verjüngt und durch Anflüge von Empathie ins Zugängliche getrimmt, tritt er uns jetzt entgegen, dem erprobten Harte-Schale-weicher-Kern-Klischee folgend, das den gstopften Ungustl von eben erst zum Sympathieträger wendet, dem man selbst die grimmigsten Anwandlungen von Ausbeuterei nicht übel nimmt: Er meint’s ja eh nicht so.

Tatsächlich ist uns Dagobert Schreck- und Ebenbild zugleich, einer von uns, doch keiner wie wir. Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles? Das kennt jeder. Aber wem von uns würde das Talerbad im eigenen Geldspeicher die lustvollste Erfüllung aller Bedürfnisse sein? Während unsereinem Geld meist Mittel zum (Konsum-)Zweck ist, genügt es Dagobert als Lebensinhalt. Beziehungen zu anderen gründen für ihn folglich einzig in der Mehrung des Profits oder der Abwehr von Verlusten. Das mag sozial nicht sonderlich erstrebenswert wirken, ehrlicher als viele unserer Moralpredigten ist es allemal. Projektionsfläche. So dient Dagobert einerseits als Projektionsfläche mancher unserer (nicht nur edelster) Sehnsüchte, spendet uns andererseits den Trost, warum es besser ist, die nicht immer erfüllt zu sehen. Was Zugänge aus verschiedensten Richtungen öffnet: Wo die einen die reinste Erfüllung des amerikanischen Traums sehen, erkennen andere die Warnung vor den Folgen eines Lebens, das sich einzig Gott Mammon unterwirft – und dritte haben einfach ihren Spaß daran, die absurde Gier westlicher Zivilisationen zur Kenntlichkeit entstellt zu sehen.

Dass der Erpel Kult wurde, daran hatte nicht allein Carl Barks großen Anteil. In seiner Nachfolge ist der US-amerikanische Zeichner Don Rosa zu nennen, der Dagobert „die größte Figur der Weltliteratur“ nennt. Nicht zu vergessen der Beitrag, den die Übersetzerin Erika Fuchs für die deutschsprachigen Ausgaben leistete: Man denke allein an die Idee, den nicht ins Deutsche transportablen Scrooge durch Dagobert zu ersetzen, einen fränkischen Königsnamen des frühen Mittelalters, nach dem mehr als 1000 Jahre lang keine Ente geschnattert hatte. Derlei spricht für eine kreative Leistung, die nicht nur Elfriede Jelinek für büchnerpreiswürdig hielt.

Wenn dieser Jubeltage Egmont Ehapa Media und Egmont Comic Collection diverse Dagobert-Bände vorlegen, lohnt sich nicht nur ein Blick ins Vergangene (etwa die Wiederauflage von „Christmas on Bear Mountain“, deutsch „Die Mutprobe“), sondern auch darauf, was Zeichnern der Gegenwart zum gefiedertsten Plutokraten aller Zeiten einfällt. In Band eins der Dagobert-Sonderedition des „Lustigen Taschenbuchs“ etwa darf er der Sucht, stets das allerneueste Smartphone zu besitzen, zumindest für Entenhausen ein Ende setzen. Dagobert als selbstloser, politisch korrekter Umweltsamariter? Nicht doch: Wer, glauben Sie, profitiert davon am meisten?

Wolfgang Freitag, „Die Presse am Sonntag“, 18. Dezember 2022

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