Studentin aus Kamerun, derzeit Wien-Wieden: Beatrice Achaleke.
Kamerun. Republik im Westen Zentralafrikas. 475.000 Quadratkilometer. Knapp 13 Millionen Einwohner. Hauptexportgut: Erdöl. Hauptstadt: Yaoundé. „20 Prozent der Bevölkerung sprechen Englisch, 80 Prozent Französisch“, erzählt Beatrice Achaleke, und außerdem sei in Büchern die Rede von gut 250 sonstigen Sprachen, die man im Land am Golf von Guinea hören könne. Beatrice Achaleke weiß, wovon sie – in fließendem Deutsch – spricht: In Kamerun ist sie aufgewachsen; in Kamerun hat sie studiert; in Kamerun hat sie sich politisch engagiert; in Kamerun hat sie gelernt, für ihre Sache zu kämpfen, auch gegen Widerstand. Seit knapp drei Jahren lebt Beatrice Achaleke in Wien: als Studentin der Soziologie.
In ihrer Heimat, da war sie Mitglied eines Studentenvereins gewesen, der „von den Behörden nicht akzeptiert“ wurde: „Unsere Führungsschicht wurde sogar von der Uni gejagt.“ Im Frühsommer 1993 erhielt sie dann die Gelegenheit, an einem sechswöchigen Post Graduate College zum Thema Frauenrechte im burgenländischen Schlaining und in Wien teilzunehmen: „Dadurch habe ich hier viele interessante Leute kennengelernt.“ Wenige Monate später kam sie wieder: mit einem Stipendium einer internationalen Organisation in der Tasche. „Ich habe keine bestimmten Vorstellungen gehabt von Österreich, als ich hierhergekommen bin“, erzählt Achaleke, „ich habe nur gewusst, ich gehe in ein fremdes Land, ich kann die Sprache nicht, ich kenne zwar einige Leute, aber das reicht nicht, das Studiensystem wird wahrscheinlich anders sein. Am wichtigsten war für mich, dass ich anderswohin gehen kann, um dort zu studieren.“
Die erste Zeit sei sehr einfach gewesen, denn: „Ich verstand einfach nicht, was die Leute über mich sagten, ich hatte auch keine besondere Lust, jemanden zu treffen oder irgendwohin zu gehen.“ Das war auch jener Abschnitt ihres Wien-Aufenthalts, in dem Achaleke vor allem Kontakte zu anderen Afrikanern suchte: „Unter ihnen war die Stimmung sehr negativ, viele meinten, die Leute hier seien rassistisch, die Leute seien unfreundlich. Mit der Zeit habe ich versucht, die Verbindungen zu Afrikanern zu reduzieren, weil ich mir gedacht habe, diese negative Stimmung, die hilft mir nicht, da werde ich nicht bleiben können, da werde ich negativ beeinflusst. Und deshalb habe ich mich ein wenig zurückgezogen und einen anderen Freundeskreis aufgebaut. Als ich die Menschen hier besser verstehen konnte, als ich ihre Sprache besser beherrschte, da merkte ich auch, dass es so nicht ganz stimmt. Mein österreichischer Freundeskreis wird immer größer, je länger ich bleibe.“
Freilich: Auf der Straße sei sie durchaus nicht selten mit Menschen konfrontiert, die – so Achaleke – „blöd sind“: „Ich nenne das ,blöd sein‘. Oder aus Unwissenheit Blödsinn sagen.“ So könne es schon vorkommen, dass jemand in der Straßenbahn fragt: „Na, du Negerin, wäschst du dir nicht die Haare?“ Das sei im Grunde empörend, gewiss, aber: „So etwas ist mir einfach keine Aufregung wert. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich damit zu beschäftigen, was blöde Leute sagen.“
Außerdem lägen die Dinge in Kamerun ja nicht viel anders: „Für mich ist es wichtig, dass ich Freunde habe, mit denen ich viel reden kann, mit denen ich viel tun kann, und am wichtigsten ist es, dass ich hier studieren kann, was ich zu Hause nicht tun könnte. Zu Hause gibt es eine sehr starke Zensur, man kann nicht reden, was man will. Es gibt keine Freiheiten. Hier kann ich Vorträge halten, am Institut für Afrikanistik habe ich viel mehr Bücher über Kamerun gefunden, als ich jemals in Kamerun gesehen habe. Die kann ich mir holen, wann ich will, da kann ich hingehen, ich kann lesen. Das ist das, was für mich zählt.“
Andererseits sei es „ein gutes Gefühl, ab und zu heimzukehren, mit den Leuten zu reden, Verwandte wiederzusehen, auch wenn man immer mit vielen Geschenken kommen muss“: „Man muss viel sparen, bevor man zurückkehrt. Aber es wird ohnehin so viel verlangt, wie man überhaupt nicht geben kann.“
Vieles habe sich für sie in der Heimat verändert, seit sie in Österreich lebe, erzählt Achaleke: „Die Leute dort benehmen sich anders zu mir. In Kamerun ist die Situation schlecht, jeder will weg. Und so wird von mir verlangt, dass ich allen helfe wegzukommen. Wenn ich dann sage, dass das nicht so einfach ist, wie wir uns das dort vorstellen – da glaubt man ja, man kauft ein Flugticket, und das ist alles -, wenn ich zu erklären versuche, dass das nicht reicht, verstehen sie mich nicht. Denn sie sagen, wenn es hier so schlecht wäre, dann wäre ich doch nicht mehr da. Wenn man von Kamerun weggeht, nach Europa oder nach Amerika, da glauben die Leute, jetzt seien alle Sorgen weg. Man habe es einfach geschafft. Und wenn ich dann zurückkomme, dann beobachten mich die Freunde, wie ich jetzt aussehe, wie ich mich kleide, wie ich rede. Solche Kleinigkeiten, die sind mir hier ganz egal, aber zu Hause, bei meinen Freunden, da ist das sehr unangenehm. Hier sagen sie, ich bin Ausländerin, zu Hause sagen einige sogar: Die Wienerin ist wieder da. Man steckt irgendwo dazwischen.“
Für sich selbst freilich hat Achaleke längst geklärt, wo ihre Zukunft liegen wird: „Ich weiß, dass es in Kamerun viel mehr zu tun gibt für mich als hier, dass ich dort viel mehr leisten kann. Trotz aller Einschränkungen – oder vielleicht gerade deshalb. Irgendwie gehöre ich dorthin.“
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 24. Mai 1997