„Ich wollte eigentlich nach Paris gehen nach dem Studium, hab kein Stipendium bekommen, und dann war plötzlich eine Kontragitarre da.“ Wie Peter Havlicek zum Mittelpunkt des Booms rund um das neue Wienerlied wurde: ein Gespräch.
Peter Havlicek, manche lernen Klavier. Andere lernen Geige. Wieder andere trompeten, posaunen, klarinetten oder oboen. Aber selbst unter den Musikalischeren von uns sind jene deutlich in der Minderheit, die Kontragitarre spielen. Wie kommt man ausgerechnet auf dieses Instrument?
Es ist nicht so, dass ich jemals auf einen bestimmten Musikstil eingeschworen gewesen wäre. Von zehn bis 18 Jahren hab ich volksgetanzt, sehr intensiv, mit einer Tanzgruppe, hab mich dort zu Landlern bewegt.
Wo war das?
In Langenzersdorf. Mit 13 kam dann Jazz dazu. Und dann, nach der Matura, Zivildienst in Lainz. Pflegeheim, alte Leute. Und wir haben angefangen, Wienerlieder zu hören. Die Menschen in der Geriatrie, die haben in einer Art diese Lieder gesungen, so pur, dass sie großen Eindruck gemacht haben bei mir. Ich hab begonnen, diese Lieder zu lernen, um als Pflegepersonal mit den Leuten besser kommunizieren zu können. Später, das war schon während meines Gitarrenstudiums in Graz bei Harry Pepl, hat dann eine Theatergruppe einen Kontragitarristen gesucht. Und so kam eines zum anderen. Ich wollte eigentlich nach Paris gehen nach dem Studium, hab kein Stipendium bekommen, und dann war plötzlich eine Kontragitarre da.
Sie sind Jahrgang 1963, also nolens volens Mitglied der Disco-Generation – da war doch die Idee, Mitglied in einer Volkstanzgruppe zu sein, ziemlich uncool.
Nicht in Langenzersdorf, das war noch immer sehr ländlich. Trotz der Nachbarschaft zu Wien. Außerdem war Volkstanzen besser als beispielsweise Judo, da hat man immer irgendwelche Würgegriffe machen müssen, um mit Mädchen gemeinsam auf einer Matte zu liegen. Nach jeder Tanzprobe dagegen ist man zum Heurigen gegangen. Und wenn man mit einem Mädchen schön diese Verzögerungen tanzen konnte im Dreivierteltakt, dann war das etwas Wunderbares.
Wie würden Sie Ihr Instrument in zwei, drei Sätzen charakterisieren?
Ich sag immer: Die Kontragitarre ist deshalb entstanden, damit man sich einen Musiker erspart. Damit nicht ein Kontrabassist und ein Gitarrist spielen müssen. Es ist also eine Gitarre mit Bassfunktion. Gebaut wurden 15er- und 13er-Kontragitarren, also solche mit sieben Basssaiten und solche mit neun. Ganz am Anfang hab ich 13er gehabt, dann so viele Saiten wie möglich, also 15, und nach fünf, sechs Jahren bin ich draufgekommen, dass die 13er besser klingen. Gefunden hab ich sie immer über Kollegen oder zufällig auf einem Dachboden.
Was macht für Sie den besonderen Reiz aus?
Dass diese Gitarren immer nur im Zusammenhang mit Schrammelmusik verwendet wurden. Erst jetzt entdecke ich allmählich, wie man auch jazzige, groovige Sachen mit dem Instrument spielen kann. Das ist viel interessanter als beispielsweise in einem Musikbereich zu experimentieren, wo schon viel vorgegeben ist – wie in der Klassik, aber auch im Jazz. Amtlich spielen, sagen die Jazzer dann, das ist sehr verbreitet. Und irgendwie ist es für sie ein Fluch, weil sie ja nicht amtlich sein wollen.
Auch das Wienerlied war doch über Jahrzehnte amtlicher als jedes Amt.
Genau. Und das ist jetzt nicht mehr so. Auch die Art, wie man Tempi verzögert oder schneller macht, das ist eine Sache, die sich sehr entwickelt hat. Abgesehen von den Stücken: In jeder Gruppe spielen wir eigene, neue Stücke genauso wie alte.
Vor 20, 30 Jahren hätte man gesagt: Das Wienerlied ist ein abgeschlossenes Kapitel der Musikgeschichte. Die paar Musiker, die noch da sind, sterben irgendwann, und dann ist eben Schluss. Mittlerweile hat man das Gefühl, jeden Tag kommt eine neue Formation dazu. Das Wienerlied boomt. Wieso jetzt?
Das hat sich sehr langsam angelassen. Ein Punkt war, Ende der 1980er, dass Roland Neuwirth das Album „Waß da Teufel“ veröffentlicht hat. Davor schon, in den 1970ern, hat Karl Hodina zum ersten Mal jazzige Wienerlieder gesungen. Und dann hat es den legendären Stammtisch gegeben von Anni Demuth, den Musikantenstammtisch des Wiener Volksliedwerks am Gallitzinberg draußen, jeden Monat in einem alten Wirtshaus mit einer skurrilen Wirtin, wo viele alte Musiker gespielt haben, und zu dem sind wir Anfang der 1990er gestoßen. Zuerst ich mit Traude Holzer gemeinsam, dann mit den Neuen Wiener Concert Schrammeln, langsam sind es immer mehr geworden, die damals jung waren, aber doch diese Musik gespielt und sofort mit neuen Ideen bereichert haben. In meiner Jugend war Volksmusik eine traditionalistische, unveränderbare Größe, fad, aber halt da. Und das Bewusstsein der Leute, die heute zu uns kommen, ist ein ganz anderes: dass Volksmusik eine lebendige, spannende, sich immens weiterentwickelnde Musikart ist. Und das macht sie zum Selbstläufer. Dass so viele Leute spüren, wie viel da in Bewegung ist.
Wenn man die Szene genauer betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, aus jeder zweiten Formation schaut Peter Havlicek heraus: Neue Wiener Concert Schrammeln, Des Ano, Palmisano Sulzer Havlicek und, und, und. Alle diese Trademarks der neuen Wiener Musik haben Sie mitbegründet. Wird Ihnen sonst langweilig?
Es war mir immer ein Bedürfnis, Verschiedenes auszuprobieren. Zuerst hab ich mit Traude Holzer das Duo gehabt. Dann hab ich gemerkt: Aha, da ist noch etwas anderes außer Singen. Also: Neue Wiener Concert Schrammeln. Jetzt merken wir, dass es Leute gibt, die mit jazzaffiner Musik sehr vertraut sind, aber auch in die Volksmusik gehen können, und daher spielen wir „Schrammeln und die Jazz“ mit Helmut Stippich, Maria Stippich und Johannes Dickbauer. Jede Band hat ihren Sinn.
Sie sind in der Szene so gut wie allgegenwärtig, aber wollte man das Gegenteil von Rampensau definieren, wären Sie ein gutes Beispiel. So viel Bescheidenheit ist der Karriere üblicherweise nicht besonders zuträglich.
Hauptsache, die Musik lebt. Wie ich zehn, zwölf Jahre alt war, hat sich das für mich geklärt: Beim Musizieren möchte ich gern mit anderen Leuten kommunizieren können, das ist das Wichtigste.
Sie haben einmal gesagt: Unsere Musik ist ein demokratisches Experiment. Musikausübung und Demokratie, wie lässt sich das vereinbaren?
Indem einer auf den Tisch haut und sagt: So wird das gemacht. Oder: Man diskutiert ewig, ob jetzt das oder jenes lauter auf der CD werden soll. Manchmal will man einfach nur mitgehen mit den anderen. Weil man das eh schön findet, was die spielen. Und manchmal muss man unbedingt eingreifen. Es ist wirklich ein Experiment, zu schauen nach den ersten zwei, drei Tönen, die man spielt am Tag, wie sind die anderen drauf. Man darf sich nicht vorstellen, dass etwa bei den Neuen Wiener Concert Schrammeln der Erste Geiger führen muss oder ich mit der Kontragitarre. Sicher braucht es einen Rahmen, es kann nicht einer schneller werden und der andere gleichzeitig langsamer. Dazu ist eine Art von Demut nötig, die man der Musik täglich entgegenbringen muss.
Wird man mit der geboren?
Man wird einesteils damit geboren, denn einer, der das nicht will, der kann nicht so eine Musik machen. Und andernteils lernt man’s, weil man sieht: Aha, da muss ich ja eigentlich gar nicht immer so präsent sein. Das funktioniert von allein. Man muss lernen, wo die Stellen sind, an denen es wichtig ist, dass man etwas sagt.
Die Wiener Musik ist er sehr eng mit Wein und Sentimentalität verbunden. Gibt es eine nüchterne Wiener Musik?
Nein. Wobei ich nicht sag, dass sie immer besoffen sein muss. Aber Nüchternheit würde 95 Prozent des Charmes nehmen, die diese Musik hat.
Der worin besteht?
Im Schmäh. Ein bisserl lachen über sich selber. Nicht alles ganz ernst nehmen, so tierisch ernst.
Sie waren mit den Neuen Wiener Concert Schrammeln mehrmals international auf Tournee. Wie hat das Publikum im Ausland auf diese Musik reagiert, die doch sehr lokal geprägt ist?
Die Reaktion war überwältigend. Wir sind in Brasilien auf Marktplätze gegangen, vergangenen März zum Beispiel, haben uns dort hingestellt und angefangen zu spielen. Und es waren binnen kurzer Zeit 50 Leute herum, die teilweise mitgetanzt haben, natürlich auch das Klischee des Wiener Walzers und der Wiener Walzerseligkeit gefordert haben, aber die haben zugleich sehr genau registriert, ob eine Musik einfach nur die Tradition wiedergibt oder sie weiterentwickelt. Am besten sind die Stücke angekommen, die Verbindungen hatten zur heutigen Musik, aber trotzdem das Grundgefühl des Walzertanzens spüren ließen. In Russland, vor zwei Jahren, war das ähnlich. Ich mag ja überhaupt nicht dieses Volksmusik-Weltmusik-Schlamassel, wenn aus allem irgendwas wird, ein afrikanischer Bassist spielt mit einem russischen Bajan-Spieler, die Sängerin ist von weiß nicht wo, und es kommt immer wieder eine ähnliche Musik heraus, die man aber nicht zuordnen kann.
Die Wurzeln müssen erkennbar bleiben?
Ja. Dann drückt’s mehr aus.
Andererseits wird aber genau das, was Sie tun, heute unter dem Etikett Weltmusik vermarktet.
Ja. Sogar die CD-Geschäfte bemerken schön langsam, dass auch die Wiener Musik zur Weltmusik gehört.
Was macht die Wiener Musik weltläufig?
Die Weiterentwicklung der Tradition. Und zwangsläufig als Folge die Einbeziehung von Stilen, die von anderen Kontinenten kommen. Es reicht schon, wenn man französische oder italienische Musik einbezieht, aber es geht auch mit Musik, die von weiter weg herkommt. Diese neuen Möglichkeiten, sich zwischen den Stilen zu bewegen, nicht den eigenen Grund zu vernachlässigen, also die eigene Herkunft, aber offen zu sein für das andere, das ist mein Weg. Die wirkliche Eigenart dieser Wiener Musik ist ja das Tempo, ich kenne das nur ansatzweise aus der Volksmusik anderer Regionen, dass es so differenzierte Möglichkeiten gibt, dauernd schneller und langsamer zu werden. Gerade in einer Zeit, wo vieles vereinheitlicht wird, ist das die Eigenschaft, die herausstechen kann. Und worin noch sehr viel Potenzial liegt.
Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 4. Juli 2015