Von der Lust, geschmacklos zu sein

Darf man über Hitler lachen? Was, wenn Jago Männer liebte? Aß Obelix tatsächlich Wildschweinbraten? Moers, König, Uderzo und wie sie alle heißen: Neues aus der Welt der Bildgeschichten – samt einem Hinweis auf ein kleines, feines Comic-Wunder aus Österreich: Gerhard Haderers „Moff“. 

 

Ein Bekenntnis vorweg: Auch ich wurde – wie so viele andere meiner Generation – schon frühzeitig vor den verderblichen Einflüssen von Comics auf meine seelische und geistige Entwicklung gewarnt. So muss ich es wohl der insgeheimen Lektüre von Micky-Maus-Heften, Fix & Foxi sowie – horribile dictu! – Rip Korby anlasten, dass ich heute genötigt bin, mich als (selbstredend ganz und gar unterbezahlter) Lohnschreiber zu verdingen.

Freilich: So grausam mich das Geschick für meine kindlichen Verfehlungen auch bestraft hat, kann ich mich doch noch immer nicht der Anziehungskraft erwehren, die jene seltsamen Geschichten in Bildern auf mich ausüben. Mehr noch: Manche Bände und Figuren haben mich in bedrückender Kontinuität von Kindheit über Jugend bis ins nun schon einigermaßen reife Mannesalter begleitet, namentlich Familie Duck, die dank der deutschen Übersetzung durch Erika Fuchs mittlerweile gar die höheren Weihen der traditionell comicophoben deutschsprachigen Literaturkritik erfahren durfte – was beweist, dass das Feuilleton zwischen Hamburg, Wien und Zürich nicht mehr das ist, was es einmal war.

Heute dienen mir Comics allerdings längst nicht mehr nur zu reinem, kindlichem Lustgewinn, sondern auch als Informations- und Studienmaterial: Nirgendwo, in keiner noch so seriösen zeitgeschichtlichen Abhandlung habe ich bisher beispielsweise Genaueres über den politischen Alltag der USA in den siebziger Jahren erfahren als in Garry Trudeaus epochemachendem „Doonesbury“, dem ersten Comicstrip, der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Mit gutem Grund.

Was „Doonesbury“ für die Siebziger war, wurde „Bloom County“ für die folgende Dekade; sein Schöpfer, der sich Berke Breathed nannte, baute ästhetisch auf „Doonesbury“ auf. Während sich freilich Garry Trudeau niemals zu weit von der Wirklichkeit entfernte, machte sich in „Bloom County“ rasch zeichnerische Anarchie breit, gepaart mit einer inhaltlichen Radikalität, die nicht selten zu Konflikten mit den Herausgebern mancher jener Zeitungen führte, in denen „Bloom County“ täglich veröffentlicht wurde. Übrigens: Auch „Bloom County“ wurde mit dem Pulitzerpreis geehrt.

„Doonesbury“, wiewohl bis heute weitergeführt, ist längst ein Stück Geschichte, „Bloom County“ seit fast zehn Jahren das, was man ein abgeschlossenes Sammelgebiet nennt. Der gesellschaftspolitische Comic-Hit in den US-Tageszeitungen der Neunziger heißt „Dilbert“ und nimmt sich, verglichen mit den beiden vorgenannten, reichlich harmlos aus; war „Doonesbury“ ursprünglich in dem achtundsechzigertrunkenen Studentenmilieu angesiedelt und „Bloom County“ in den trostlos mediokren Weiten des mittleren Westens, findet man sich mit „Dilbert“ in einer städtischen Großraumbürowelt wieder, in der man weniger über große Politik als darüber disputiert, wer sich mit wem zum Mittagessen trifft und wann welche Kleidung am Arbeitsplatz angemessen ist.

Gerade die Distanz zur Tagespolitik und zu sonstigen aktuellen Geschehnissen mag es freilich sein, die „Dilbert“ eine weite Verbreitung auch in US-fernen Regionen sichert, während etwa „Bloom County“ niemals den Sprung in deutschsprachige Zonen schaffte. Im Grunde repräsentiert „Dilbert“ das, was man globalisierten Humor nennen könnte: Dieser Comicstrip ist überall dort verständlich, wo es Großraumbüros, lästige Kollegen, noch lästigere Chefs und unsinnige Managemententscheidungen gibt. Wo gibt es all das nicht?

Dennoch ist „Dilbert“ zu lesen ein Vergnügen, nicht nur im Comics-Teil von Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch dann, wenn Scott Adams seine Strips in durchaus textlastige Publikationen bettet. So geschehen etwa in dem kürzlich auch auf Deutsch erschienenen Band „Dilbert Future“: Hier sind „Dilbert“-Zeichnungen nur die optische Garnierung für eine durchaus amüsante – und über weite Strecken treffende – Attacke gegen den Prognosen-Wahn, der uns allenthalben am Ende dieses ausgehenden Jahrtausends befallen hat.

Auch ein anderer Comic kam im vergangenen Halbjahr zu Textbuchehren: der Longseller Asterix. Sunnyva van der Vegt und René van Royen, beide Dozenten für Altertumskunde an der Universität Amsterdam, haben sich den mittlerweile schon reichlich bejahrten gallischen Helden samt unbeugsamem Dorf streng wissenschaftlich vorgenommen; das Ergebnis, „Asterix – Die ganze Wahrheit“ betitelt, wartet mit einer Reihe überraschender Einsichten auf. Etwa der, dass Obelix‘ Faible für Wildschweinbraten „weniger eine historische Komponente, sondern vielmehr eine komische Zugabe der Autoren“ ist, denn: Das Schweinefleisch, das die Kelten aßen, „stammte vor allem von Schweinen, die sie selbst hielten“. Der Zaubertrank hingegen, den der Druide Miraculix – und nur er – zu brauen versteht, der hat durchaus sein geschichtliches Vorbild: Van der Vegt und van Royen fanden in der „Historia Naturalis“ des Plinius die Beschreibung eines wundertätigen Gebräus auf Mistelbasis, mit dem man „unfruchtbare Tiere wieder fruchtbar machen“ konnte.

Apropos Asterix: Das schlaue Kerlchen hat nebst allen halbwegs wichtigen Sprachen der Alten Welt, die er schon seit längerer Zeit beherrscht, in der jüngsten Vergangenheit auch noch allerlei lokale und lokalste Dialekte gelernt, um sich marktmäßig in Erinnerung zu rufen. Und so freute sich der Stuttgarter Delta Verlag, vor einigen Wochen in der Reihe „Asterix redt wienerisch“ einen neuen Band unter die gallierlüsternen Eingeborenen der Donaustadt werfen zu können: „Der Seher“, pardon, „Da Woasoga“. Diese Dialektversion ist, wenn schon nichts anderes, so immerhin eine lesetechnische Herausforderung, wobei alle Gallier unterschiedslos aus den „entern Gründ“, will sagen: der tiefsten Wiener Vorstadt, zu kommen scheinen („Wos gibt’s do deppat zum Lochn?!“), dafür umso überraschender dann und wann auf den Boden der Hochsprache zurückkehren.

Dem römischen Zenturio wiederum hat man ein Idiom verpasst, das sich nur dank der editorischen Angaben als „Schönbrunner Düalökt“ erschließt. Tröstlich immerhin, dass auch in Wien – wie schon in der allgemeindeutschen Übertragung – der Donner „Wrrumm“ macht und eine innergallische Schlägerei nach „Pflatsch!!! Zack! Wummm!“ klingt. Jetzt wissen wir wenigstens, was die deutsche Sprache eint.

Aus Österreich, sonst nicht gerade eine Comics-Hochburg, gibt es freilich auch Erfreuliches zu berichten; hier hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Comic-Kleinod besonderer Art etabliert: „Moff“, monatlich erscheinend, und zwar jeweils am 18., kann für sich schon jetzt Kultstatus beanspruchen. Was Gerhard Haderer, bekannt durch seine Cartoons für „profil“, bisher in sein im klassischen, länglichen Kleinformat gehaltenes „feines Schundheftl“ gezaubert hat, hält jedem Vergleich stand: „Moff“ ist eine erfrischende Mischung aus tagespolitischer Polemik, gesellschaftspolitischen Attacken und schlichtem Nonsens, vorgetragen in Bildfolgen, die zeichnerische mit textlicher Schärfe kombinieren und im Aufbau von Spannungsbögen mit großem Raffinement das häufige Umblättern nützen. Haderer verfügt nebstbei über die nötige Lust daran, mitunter schlichtweg geschmacklos zu sein – und genau dadurch viele Widersprüche dieser Welt sichtbar zu machen.

Tabubrüche gehören überhaupt zum Handwerkszeug jedes Satirikers, der diese Bezeichnung verdient. Satire, die niemals zu weit geht, geht nicht weit genug. In diesem Sinne scheint auch jene Tabubruchsdiskussion entbehrlich, die im vergangenen Sommer rund um Walter Moers‘ Comic-Band „Adolf“ entflammte. Lachen über Hitler – warum nicht?

Im Übrigen findet sich Hitler schon in US-amerikanischen Zeitungsstrips der vierziger Jahre. Und außerdem ist Moers‘ „Adolf“ bereits aus der Zeitschrift „Titanic“ bekannt. Grund für sonderliche Erregung ist keiner zu erkennen; den Verkaufszahlen wird die via Agenturmeldung verbreitete Empörung jedenfalls gewiss nicht geschadet haben.

So wenig im Grundsätzlichen gegen Moers‘ Unternehmen vorzubringen ist: In der Durchführung überzeugt es nicht. Die Visite Hitlers in der Welt von heute fällt reichlich brachiallustig aus. Hitlers Liebesnacht mit Göring im Crackrausch, Hitler als Chauffeur von Dodi und Di, Hitler, entführt von Außerirdischen, und so weiter: All das könnte man freundlich ein anarchisches Comic-Vergnügen nennen – oder unfreundlich die Vermutung äußern, dem Autor sei die Story aus dem Leim gegangen. Wenn man vor lauter Brüchen nicht mehr sieht, was gebrochen werden soll, wird Satire zum oberflächlichen Amüsierbetrieb.

Wie Moers ist auch Ralf König einer der großen Stars der deutschen Comics-Landschaft. Seine Spezialität ist nicht die kurze Sequenz, sondern der lange Atem, sozusagen der Roman in gezeichneter Form. Und sein Milieu – wie sein Hauptadressat – bleibt stets gleich: die Schwulenszene. Wobei König, ursprünglich ein Insidertip, spätestens seit dem „Bewegten Mann“ damit rechnen kann, ein Massenpublikum zu erreichen. Der neue König-Band heißt „Jago“, entpuppt sich als furiose zeichnerische Tour de force durch das Werk William Shakespeares mit zahllosen Anspielungen und Querverweisen und wird allen König-Fans zweifellos Vergnügen bereiten. Dass freilich das, was König so oft und gern seinen Figuren aus der Hose baumeln lässt, einem mitunter auch zum Hals heraushängen kann, ist nur streng physisch auszuschließen.

Ralf König findet sich – fast möchte man sagen: selbstverständlich – auch in einer neuen Anthologie, die sich den Achtundsechzigern widmet: „Trau keinem über 30!“ ist der Band betitelt, den Andreas C. Knigge beim Comic-Grossisten Carlsen herausgebracht hat und der neben alten Weisen wie Robert Gernhardt und Hans Traxler auch junge Wilde wie die Berlinerin Ziska zu Wort und Bild kommen lässt. Für viele der Eingeladenen eine willkommene Gelegenheit, sich zeichnerisch zu erinnern, für manche eine Möglichkeit, das Zeichengut vergangener Tage wiederzuverwerten. Wenn es so exzellent ist wie Rainer Hachfelds „Struwwelpeter, neu frisiert“, soll’s uns recht sein.

Nicht die großen oder kleinen, ganzen oder halben Zeitenwenden, auch nicht die Tiefen oder Untiefen menschlichen Zusammenlebens sind bevorzugter Gegenstand des Schweizers Hannes Binder: Der Maler und Illustrator hat sich seit Jahren dem schriftstellerischen Schaffen seines Landsmanns Friedrich Glauser (1896 bis 1938) verschrieben, vor allem Glausers Kriminalromanen, in denen atmosphärische Dichte und die präzise Darstellung der Charaktere die Lösung des jeweiligen Falls – entgegen aller Krimi-Konvention – in den Hintergrund drängen.

Nach Krimi-Comics wie „Der Chinese“ und „Krock & Co.“ hat sich Binder jetzt Glausers „Fieberkurve“ vorgenommen und die ruhelos zwischen Basel, Paris und Marokko umhereilende Handlung, um Tagebuchaufzeichnungen und Passagen aus Briefen Glausers bereichert, in düster dräuende Zeichnungen gehüllt, in denen jeder Strich ein Geheimnis zu bergen scheint. „Glausers Fieber“: eine ästhetische Grenzerfahrung zwischen Wirklichkeit, Traum, Alptraum und Fiktion.

Zum Abschluss eine Empfehlung für Freunde des schieren Unsinns: Bei Jochen Enterprises, Berlin, haben Stephan Katz und Max Goldt einen Band vorgelegt, der Einzelcartoons mit kurzen, durchkomponierten Bildgeschichten vereinigt. Und wer schon immer wissen wollte, warum Verbrecher gerne Filme über Mücken sehen und Franzosen auf Photos nicht lächeln, wird von „Koksen um die Mäuse zu vergessen“ gewiss nicht enttäuscht werden.

Ein Bekenntnis vorweg: Auch ich wurde – wie so viele andere meiner Generation – schon frühzeitig vor den verderblichen Einflüssen von Comics auf meine seelische und geistige Entwicklung gewarnt. So muss ich es wohl der insgeheimen Lektüre von Micky-Maus-Heften, Fix & Foxi sowie – horribile dictu! – Rip Korby anlasten, dass ich heute genötigt bin, mich als (selbstredend ganz und gar unterbezahlter) Lohnschreiber zu verdingen.

Freilich: So grausam mich das Geschick für meine kindlichen Verfehlungen auch bestraft hat, kann ich mich doch noch immer nicht der Anziehungskraft erwehren, die jene seltsamen Geschichten in Bildern auf mich ausüben. Mehr noch: Manche Bände und Figuren haben mich in bedrückender Kontinuität von Kindheit über Jugend bis ins nun schon einigermaßen reife Mannesalter begleitet, namentlich Familie Duck, die dank der deutschen Übersetzung durch Erika Fuchs mittlerweile gar die höheren Weihen der traditionell comicophoben deutschsprachigen Literaturkritik erfahren durfte – was beweist, dass das Feuilleton zwischen Hamburg, Wien und Zürich nicht mehr das ist, was es einmal war.

Heute dienen mir Comics allerdings längst nicht mehr nur zu reinem, kindlichem Lustgewinn, sondern auch als Informations- und Studienmaterial: Nirgendwo, in keiner noch so seriösen zeitgeschichtlichen Abhandlung habe ich bisher beispielsweise Genaueres über den politischen Alltag der USA in den siebziger Jahren erfahren als in Garry Trudeaus epochemachendem „Doonesbury“, dem ersten Comicstrip, der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Mit gutem Grund.

Was „Doonesbury“ für die Siebziger war, wurde „Bloom County“ für die folgende Dekade; sein Schöpfer, der sich Berke Breathed nannte, baute ästhetisch auf „Doonesbury“ auf. Während sich freilich Garry Trudeau niemals zu weit von der Wirklichkeit entfernte, machte sich in „Bloom County“ rasch zeichnerische Anarchie breit, gepaart mit einer inhaltlichen Radikalität, die nicht selten zu Konflikten mit den Herausgebern mancher jener Zeitungen führte, in denen „Bloom County“ täglich veröffentlicht wurde. Übrigens: Auch „Bloom County“ wurde mit dem Pulitzerpreis geehrt.

„Doonesbury“, wiewohl bis heute weitergeführt, ist längst ein Stück Geschichte, „Bloom County“ seit fast zehn Jahren das, was man ein abgeschlossenes Sammelgebiet nennt. Der gesellschaftspolitische Comic-Hit in den US-Tageszeitungen der Neunziger heißt „Dilbert“ und nimmt sich, verglichen mit den beiden vorgenannten, reichlich harmlos aus; war „Doonesbury“ ursprünglich in dem achtundsechzigertrunkenen Studentenmilieu angesiedelt und „Bloom County“ in den trostlos mediokren Weiten des mittleren Westens, findet man sich mit „Dilbert“ in einer städtischen Großraumbürowelt wieder, in der man weniger über große Politik als darüber disputiert, wer sich mit wem zum Mittagessen trifft und wann welche Kleidung am Arbeitsplatz angemessen ist.

Gerade die Distanz zur Tagespolitik und zu sonstigen aktuellen Geschehnissen mag es freilich sein, die „Dilbert“ eine weite Verbreitung auch in US-fernen Regionen sichert, während etwa „Bloom County“ niemals den Sprung in deutschsprachige Zonen schaffte. Im Grunde repräsentiert „Dilbert“ das, was man globalisierten Humor nennen könnte: Dieser Comicstrip ist überall dort verständlich, wo es Großraumbüros, lästige Kollegen, noch lästigere Chefs und unsinnige Managemententscheidungen gibt. Wo gibt es all das nicht?

Dennoch ist „Dilbert“ zu lesen ein Vergnügen, nicht nur im Comics-Teil von Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch dann, wenn Scott Adams seine Strips in durchaus textlastige Publikationen bettet. So geschehen etwa in dem kürzlich auch auf Deutsch erschienenen Band „Dilbert Future“: Hier sind „Dilbert“-Zeichnungen nur die optische Garnierung für eine durchaus amüsante – und über weite Strecken treffende – Attacke gegen den Prognosen-Wahn, der uns allenthalben am Ende dieses ausgehenden Jahrtausends befallen hat.

Auch ein anderer Comic kam im vergangenen Halbjahr zu Textbuchehren: der Longseller Asterix. Sunnyva van der Vegt und René van Royen, beide Dozenten für Altertumskunde an der Universität Amsterdam, haben sich den mittlerweile schon reichlich bejahrten gallischen Helden samt unbeugsamem Dorf streng wissenschaftlich vorgenommen; das Ergebnis, „Asterix – Die ganze Wahrheit“ betitelt, wartet mit einer Reihe überraschender Einsichten auf. Etwa der, dass Obelix‘ Faible für Wildschweinbraten „weniger eine historische Komponente, sondern vielmehr eine komische Zugabe der Autoren“ ist, denn: Das Schweinefleisch, das die Kelten aßen, „stammte vor allem von Schweinen, die sie selbst hielten“. Der Zaubertrank hingegen, den der Druide Miraculix – und nur er – zu brauen versteht, der hat durchaus sein geschichtliches Vorbild: Van der Vegt und van Royen fanden in der „Historia Naturalis“ des Plinius die Beschreibung eines wundertätigen Gebräus auf Mistelbasis, mit dem man „unfruchtbare Tiere wieder fruchtbar machen“ konnte.

Apropos Asterix: Das schlaue Kerlchen hat nebst allen halbwegs wichtigen Sprachen der Alten Welt, die er schon seit längerer Zeit beherrscht, in der jüngsten Vergangenheit auch noch allerlei lokale und lokalste Dialekte gelernt, um sich marktmäßig in Erinnerung zu rufen. Und so freute sich der Stuttgarter Delta Verlag, vor einigen Wochen in der Reihe „Asterix redt wienerisch“ einen neuen Band unter die gallierlüsternen Eingeborenen der Donaustadt werfen zu können: „Der Seher“, pardon, „Da Woasoga“. Diese Dialektversion ist, wenn schon nichts anderes, so immerhin eine lesetechnische Herausforderung, wobei alle Gallier unterschiedslos aus den „entern Gründ“, will sagen: der tiefsten Wiener Vorstadt, zu kommen scheinen („Wos gibt’s do deppat zum Lochn?!“), dafür umso überraschender dann und wann auf den Boden der Hochsprache zurückkehren.

Dem römischen Zenturio wiederum hat man ein Idiom verpasst, das sich nur dank der editorischen Angaben als „Schönbrunner Düalökt“ erschließt. Tröstlich immerhin, dass auch in Wien – wie schon in der allgemeindeutschen Übertragung – der Donner „Wrrumm“ macht und eine innergallische Schlägerei nach „Pflatsch!!! Zack! Wummm!“ klingt. Jetzt wissen wir wenigstens, was die deutsche Sprache eint.

Aus Österreich, sonst nicht gerade eine Comics-Hochburg, gibt es freilich auch Erfreuliches zu berichten; hier hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Comic-Kleinod besonderer Art etabliert: „Moff“, monatlich erscheinend, und zwar jeweils am 18., kann für sich schon jetzt Kultstatus beanspruchen. Was Gerhard Haderer, bekannt durch seine Cartoons für „profil“, bisher in sein im klassischen, länglichen Kleinformat gehaltenes „feines Schundheftl“ gezaubert hat, hält jedem Vergleich stand: „Moff“ ist eine erfrischende Mischung aus tagespolitischer Polemik, gesellschaftspolitischen Attacken und schlichtem Nonsens, vorgetragen in Bildfolgen, die zeichnerische mit textlicher Schärfe kombinieren und im Aufbau von Spannungsbögen mit großem Raffinement das häufige Umblättern nützen. Haderer verfügt nebstbei über die nötige Lust daran, mitunter schlichtweg geschmacklos zu sein – und genau dadurch viele Widersprüche dieser Welt sichtbar zu machen.

Tabubrüche gehören überhaupt zum Handwerkszeug jedes Satirikers, der diese Bezeichnung verdient. Satire, die niemals zu weit geht, geht nicht weit genug. In diesem Sinne scheint auch jene Tabubruchsdiskussion entbehrlich, die im vergangenen Sommer rund um Walter Moers‘ Comic-Band „Adolf“ entflammte. Lachen über Hitler – warum nicht?

Im Übrigen findet sich Hitler schon in US-amerikanischen Zeitungsstrips der vierziger Jahre. Und außerdem ist Moers‘ „Adolf“ bereits aus der Zeitschrift „Titanic“ bekannt. Grund für sonderliche Erregung ist keiner zu erkennen; den Verkaufszahlen wird die via Agenturmeldung verbreitete Empörung jedenfalls gewiss nicht geschadet haben.

So wenig im Grundsätzlichen gegen Moers‘ Unternehmen vorzubringen ist: In der Durchführung überzeugt es nicht. Die Visite Hitlers in der Welt von heute fällt reichlich brachiallustig aus. Hitlers Liebesnacht mit Göring im Crackrausch, Hitler als Chauffeur von Dodi und Di, Hitler, entführt von Außerirdischen, und so weiter: All das könnte man freundlich ein anarchisches Comic-Vergnügen nennen – oder unfreundlich die Vermutung äußern, dem Autor sei die Story aus dem Leim gegangen. Wenn man vor lauter Brüchen nicht mehr sieht, was gebrochen werden soll, wird Satire zum oberflächlichen Amüsierbetrieb.

Wie Moers ist auch Ralf König einer der großen Stars der deutschen Comics-Landschaft. Seine Spezialität ist nicht die kurze Sequenz, sondern der lange Atem, sozusagen der Roman in gezeichneter Form. Und sein Milieu – wie sein Hauptadressat – bleibt stets gleich: die Schwulenszene. Wobei König, ursprünglich ein Insidertip, spätestens seit dem „Bewegten Mann“ damit rechnen kann, ein Massenpublikum zu erreichen. Der neue König-Band heißt „Jago“, entpuppt sich als furiose zeichnerische Tour de force durch das Werk William Shakespeares mit zahllosen Anspielungen und Querverweisen und wird allen König-Fans zweifellos Vergnügen bereiten. Dass freilich das, was König so oft und gern seinen Figuren aus der Hose baumeln lässt, einem mitunter auch zum Hals heraushängen kann, ist nur streng physisch auszuschließen.

Ralf König findet sich – fast möchte man sagen: selbstverständlich – auch in einer neuen Anthologie, die sich den Achtundsechzigern widmet: „Trau keinem über 30!“ ist der Band betitelt, den Andreas C. Knigge beim Comic-Grossisten Carlsen herausgebracht hat und der neben alten Weisen wie Robert Gernhardt und Hans Traxler auch junge Wilde wie die Berlinerin Ziska zu Wort und Bild kommen lässt. Für viele der Eingeladenen eine willkommene Gelegenheit, sich zeichnerisch zu erinnern, für manche eine Möglichkeit, das Zeichengut vergangener Tage wiederzuverwerten. Wenn es so exzellent ist wie Rainer Hachfelds „Struwwelpeter, neu frisiert“, soll’s uns recht sein.

Nicht die großen oder kleinen, ganzen oder halben Zeitenwenden, auch nicht die Tiefen oder Untiefen menschlichen Zusammenlebens sind bevorzugter Gegenstand des Schweizers Hannes Binder: Der Maler und Illustrator hat sich seit Jahren dem schriftstellerischen Schaffen seines Landsmanns Friedrich Glauser (1896 bis 1938) verschrieben, vor allem Glausers Kriminalromanen, in denen atmosphärische Dichte und die präzise Darstellung der Charaktere die Lösung des jeweiligen Falls – entgegen aller Krimi-Konvention – in den Hintergrund drängen.

Nach Krimi-Comics wie „Der Chinese“ und „Krock & Co.“ hat sich Binder jetzt Glausers „Fieberkurve“ vorgenommen und die ruhelos zwischen Basel, Paris und Marokko umhereilende Handlung, um Tagebuchaufzeichnungen und Passagen aus Briefen Glausers bereichert, in düster dräuende Zeichnungen gehüllt, in denen jeder Strich ein Geheimnis zu bergen scheint. „Glausers Fieber“: eine ästhetische Grenzerfahrung zwischen Wirklichkeit, Traum, Alptraum und Fiktion.

Zum Abschluss eine Empfehlung für Freunde des schieren Unsinns: Bei Jochen Enterprises, Berlin, haben Stephan Katz und Max Goldt einen Band vorgelegt, der Einzelcartoons mit kurzen, durchkomponierten Bildgeschichten vereinigt. Und wer schon immer wissen wollte, warum Verbrecher gerne Filme über Mücken sehen und Franzosen auf Photos nicht lächeln, wird von „Koksen um die Mäuse zu vergessen“ gewiss nicht enttäuscht werden.

 

„Die Presse“, „Spectrum“, 3. Oktober 1998

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