Superhelden: Sind wir noch zu retten?

Die Endausgaben der deutschsprachigen Batman- und Superman-Hefte liegen auf dem Ladentisch, den stiernackigen Gerechtigkeitskämpfern in ihren hautengen Trikots hat die letzte, die Stunde mangelnder Rendite geschlagen. Vom Ende der Superhelden – und ihren heimischen Wiedergängern.

 

Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten! Die Winter werden immer wärmer, die Herzen immer kälter, Arnold Schwarzenegger steckt in der Ehekrise, meinem Lieblingssupermarkt ist mein Lieblingsmüsli ausgegangen – und jetzt auch noch das: Superman und Batman sind nicht mehr. Zumindest nicht mehr in deutscher Sprache.

Immerhin ein knappes halbes Jahrhundert lang haben die beiden muskulösen Herren in ihren hautnah anliegenden Stretch-Trikots auch hierzulande in schöner Comic-Heft-Regelmäßigkeit ihre fiktive Heimatstadt – hie Metropolis, da Gotham City – samt dem gesamten Erdkreis vor Übeltätern der überdimensionalen Art bewahrt: der eine, außerirdischer Herkunft, mit gleichermaßen außerirdischen Gaben wie Röntgenblick und Superkräften bestückt, der andere, durchaus irdisch, aber dafür olympiareif austrainiert und mit zahlreichem technologischem Equipment ins Überirdische aufgebessert.

Ihr Kosmos, wiewohl in knallig bunten Farben illustriert, blieb stets dem Inhalt nach schwarzweiß: Hie das Gute, selbstredend in den Helden selbst repräsentiert, da das Böse, das es ohne viel Federlesens auszumerzen galt. Eine Welt, bekannt aus Western, Mythen, Märchen, einfach, praktisch, übersichtlich, eine Welt, geschaffen in den USA Ende der 1930er – und so überzeugend handlich, daß US-amerikanische Präsidenten bis zum heutigen Tage gern nach ihren Gesetzen handeln. Schließlich: Wo es ein Gutes, also sie selbst gibt, da muß doch ein ordentlich weltgefährdendes Böses noch zu finden sein, und sei es auch im fernen Bagdad.

Was aber, wenn dieser Welt das Gute – wie jetzt geschehen – gleichsam über Nacht abhanden kommt? „Wie ihr vermutlich alle schon vernommen habt, wird bei Dino das gesamte Superhelden-Programm eingestellt“, ließ Max Müller, Verlagsleiter der Dino Entertainment AG mit Sitz in Stuttgart, Ende vergangenen Jahres eine weithin verstörte Fangemeinde wissen.

Und es war keiner der traditionellen Bösewichte, der Superman & Co. aus deutschsprachigen Landen bugsierte: Nicht die Kennern wohlbekannten Superschurken wie Lex Luthor, Pinguin oder Joker schlugen die bis dato unbezwingbar scheinenden Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit in die Flucht, sondern die offenkundig vor nichts und niemandem Halt machenden Regeln der Marktwirtschaft. „Hauptgrund“ für die Einstellung sei „die schlechte Verkaufssituation der Superhelden-Comics“, gestand Max Müller einigermaßen ungerührt ein. Und: Der gesamte Bereich „Superhelden“ sei eben „im Jahre 2000 hochdefizitär“ gewesen. Also weg damit. Basta. Soviel zum Stellenwert des Ethos in der kapitalistischen Konsumgesellschaft.

Gewiß, nicht erst seit Brechts „Dreigroschenoper“ wissen wir, daß zuvörderst das Fressen kommt und dann erst die Moral. Dennoch nimmt es wunder, daß nur merkantile Interessen zählen sollen, wo es darum geht, so mächtige Symbole gegen die Übermacht des Üblen zu bewahren – oder sich ihrer schnöde zu entledigen. Was nicht einmal einem mordlüsternen Psychopathen namens Doomsday in „Supermans Tod“ (1993) beschieden war, nämlich Superman auf immer von der Rettung dieser und anderer Welten abzuhalten, scheint jetzt einer Handvoll Bilanzbuchhaltern und Verlagsmanagern gelungen zu sein; und nicht Kryptonit war ihre todbringende Waffe, bis dato der einzige Stoff, das den Unverwüstlichen verwüstlich machte, sondern schlicht der Rechenstift.

Wobei dem Lamento, warum sich heutzutage sogar schon die Moral finanziell rentieren muß, sofort die Frage anzuschließen ist, warum sie sich denn eigentlich nicht mehr rentiert. Warum also stürzt die Nachfrage nach dem unumstößlich Comic-Guten innerhalb weniger Jahre von 65.000 verkauften Stück je aufgelegtem Dino-Superhelden-Heft auf knapp 10.000 Stück und sohin ins – horribile dictu – Unrentable ab?

Es sei eben sehr schwer, klagt Dino-Pressesprecher Steffen Volkmer, „die jüngeren Leser an die klassischen Helden heranzuführen“; und Volkmer weiß auch davon zu berichten, daß die Superhelden nicht nur eingedeutscht, sondern ganz und gar global „nicht mehr Glanz und Gloria früherer Zeiten“ verbreiten. Kurz: Den Herren Welterrettern bläst weltweit der Wind entgegen.

Was niemanden wundern sollte: In Zeiten, in denen selbst die Waschmittelwerbung schon das bis vor kurzem gängige Mann-Frau-Schema – Sie wissen schon, hie Hirn und starke Hand, da Herz und Herd – hinter sich gelassen hat, nehmen sich stiernackige Testosteron-Protze einigermaßen deplaziert aus. Und es ist gewiß kein Zufall, daß gerade die jüngst erschienenen Batman- und Superman-Finalausgaben nicht in einer auch nur halbwegs realen Welt, sondern in jenseitigen Zombieschocker- und Endzeitszenarien angesiedelt sind.

Das Superhelden-Prinzip alter Prägung hat sich schlicht als nicht Jahr-2000-tauglich erwiesen – und zukunftsträchtig scheint es auch nicht recht zu sein. Wo das vormals starke Geschlecht vornehmlich ein Fall für „Männergesundheitstage“ wird, in der einschlägigen Ratgeberliteratur nur mehr als seelischer wie körperlicher Totalschaden wahrgenommen, da fehlt das rechte Podium für heroische Übermännlichkeit.

Was verlangen Frauen von Männern, ließ jüngst eine deutsche Frauenzeitschrift fragen. Die Antworten in der Reihenfolge der Nennungshäufigkeit: Treue, Respekt – und Humor. Keine Rede von gutem Aussehen, Tapferkeit oder gar übermächtiger Muskelkraft. Der Superheld: ein Auslaufmodell männlichen Übermenschenwahns.

Wie man ja überhaupt mit jedem „Über“ heutzutage seine liebe Not hat: „XXXLarge“ können da und dort noch Möbelhäuser sein, Menschen und Ideen sind allenthalben auf ein „Medium“ beschränkt. Pragmatismus heißt die Devise der Stunde, Visionen sind – wir haben es in Österreich aus fürwahr berufenem Munde erfahren dürfen – ein Fall für den Arzt.

Zugegeben: Mit dem Zug ins allzu Große hat man nicht nur hierzulande im vergangenen Jahrhundert reichlich fatale Erfahrungen gemacht; aber muß deshalb gleich alles so schrecklich mittelmäßig sein?

Wie fern scheinen uns jedenfalls die Tage, in denen ein Erhard Busek als Superman in einem Kinospot noch gegen Beton- und Bürokratie-Saurier ins Wiener Wahlkampf-Feld zog, die Tage, in denen sich auch ein Anton Benya für einen Poster der Gewerkschaftsjugend als „Mann aus Stahl“ porträtieren ließ!

Und selbst dort, wo bis vor kurzem das Mutig-Kantige sich kühn der neuen Unübersichtlichkeit mit unmißverständlich klärendem Gestus entgegenstemmte, in der Wiener FPÖ, hat mittlerweile beklemmende Beliebigkeit Einzug gehalten. „Stop der Überfremdung“, „Keine Gnade für Drogenhändler“, im Nationalratswahlkampf 1999 plakatiert – das waren halt noch Slogans, die keiner weiteren Erklärungen bedurften.

Und wäre ein Hilmar Kabas heute noch der, der er damals war, vielleicht hätten wir noch auf ein schlichtes „Hängt sie höher!“ hoffen dürfen. Aber so? „Ausländer: Ich verstehe die Sorgen der Wiener“ – ist das jetzt FP-Wahlkampf oder eine Volkshochschulen-Selbsterfahrungsgruppe?

Freilich, gerade dort, wo man’s wohl nicht vermutet hätte, in der heimischen Intellektuellen-Zunft, hat sich im Gefolge der schwarzblauen Regierungsbildung superheldische Ordnungslust, der Mut zur klaren Unterscheidung neuen Raum geschaffen: hie ein lobenswertes Gut und da ein Böse, das es – wenn schon nicht handfest, so wenigstens verbal – niederzumachen gilt. Da fliegen die Verdikte hin und wider, daß kein Supertempo ihnen schnell genug wäre, und Ehrabschneidung gehört zum besten Umgangston: „Mensch gewordene Aussendungsmaschine“ wirft einer hier, „Wendephilosoph“ ein anderer da in die Schlacht, und ein dritter läßt einen honorigen Wissenschaftler, weil andrer Meinung als er selbst, zum pöstchensammelnden „Parteihistoriker“ schrumpfen. Debatte nennt man das in diesen Tagen, früher hätte man’s wohl Schlägerei auf der Bluatwiesen genannt.

Nur eines unterscheidet diesen kuriosen Denker-Action-Comic von seinen Superhelden-Mustern made in USA: Je nach Publikum wird man durchaus unterschiedliche Antworten darauf erhalten, welche der sich hier niederknüppelnden Personen nun tatsächlich die Helden – und welche die Schurken sind. Und gleichermaßen ungewiß ist, welche Partei letztlich obsiegen wird.

Halten wir fest: Superman und Batman sind nicht mehr. Ihre Wiedergänger, dialektik-muskelbepackt, finden sich hierzulande heute ausgerechnet unter mehr oder weniger vornehm gekleideten Herren aus Kultur und Wissenschaft, die sich wechselseitig mehr oder weniger grob beflegeln. Schrille Töne, die bestens ins Konzert donners-täglicher Demonstrationen, hektischer Parlamentssessionen und jener wachsenden Zahl politischer Auseinandersetzungen passen, die vor dem Kadi ausgetragen werden.

Das übersichtliche Schwarzweiß der Superhelden-Philosophie scheint so in der Realität heimischer Politik einer unvermuteten Renaissance zuzustreben. Die Lager werden abgesteckt, Mauern und Gräben errichtet. Und rundum gilt als Grundsatz wechselseitiger Bewertung: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Da kann es schon einmal vorkommen, daß selbst gestanden-heimatliche Landesfürsten frank und frei via ministerieller Aussendung zu Landesverrätern befördert werden.

Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Fehlt nur noch der eine, der starke Mann, der zwischen den Lagern endgültig Klarheit schafft. Vielleicht kommt er noch, wenn wir ihn laut genug rufen – aber wenn, dann sicher nicht aus Gotham City oder Metropolis.

 

„Die Presse“, „Spectrum“, 24. Februar 2001

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