Gerhard Haderer: Sag’s schnell!

„Ich bekenne mich dazu, dass von 20 Zeichnungen nur eine gut ist.“ Der Cartoonist Gerhard Haderer über Kritik und Kritiker, Haderer-Bücher, Haderer-Unterhosen und seine Klausur in Linz.


„Es kann sein, dass ich demnächst weise werde. Dann werde ich wahrscheinlich aufhören zu zeichnen.“ Also sprach Gerhard Haderer Anfang 1993. Da Haderer noch immer zeichnet, kann man davon ausgehen, dass es mit der Weisheit bis dato nicht recht geklappt hat. Im Gegenteil: Schließlich hat sich der gelernte Werbegrafiker nebst der Cartoonistenarbeit für Zeitschriften wie „Profil“ und „Stern“ seit eineinhalb Jahren auch einen monatlich erscheinenden Comic, „Moff“, aufgehalst, den er immerhin bis April 2000 weiterführen will.

Dass Haderer mit seinen detailverliebten Grafiken, die in all ihrer Hochglanzpracht oft erst auf den zweiten Blick die ganze Schärfe der satirischen Attacke erkennen lassen, mitunter auf heftige Ablehnung stößt, liegt in der Natur seines Berufs – und schadet gewiss nicht dem Absatz von Haderer-Kalendern und Haderer-Bildbänden, schon gar nicht Haderers Marktwert. Bis auf Weiteres wird sich jedenfalls der 1951 in Leonding bei Linz geborene Vater von vier Kindern, der mit dem Kürzel „Hades“ signiert, um sein eigenes und das Auskommen seiner Familie nicht sorgen müssen.


Gerhard Haderer, Ihr Geschäft ähnelt dem eines Heckenschützen: Aus Ihrem Linzer Hinterhalt nehmen Sie alles aufs Korn, was Sie rührt – machthungrige Politiker, erfolgsgeile Jungmanager, kleinkarierte Krämerseelen. Sie legen an, Sie zielen, Sie zeichnen, und Zeitschriften wie „Stern“ oder „Profil“ drucken ab. Ihre eigenen Schwächen stehen nie zur Diskussion. Zum Trost aller anderen Menschen: Wie machthungrig, wie erfolgsgeil, wie kleinkariert ist Gerhard Haderer?

Machthungrig, da lass‘ ich Sie in Leere laufen, da hab‘ ich eine sehr unverkrampfte Position dazu: Ich hab‘ solche Absichten überhaupt nicht.

Erfolgsgeil?

Das bin ich schon. Das hängt damit zusammen, dass meine Zeichnungen, die guten, Weltklasse sind und dass ich einen entsprechenden Erfolg für diese Zeichnungen beanspruche.

Und kleinkariert?

Na ja, der Typ Haderer ist eigentlich nicht das Aufregendste an dem Phänomen. All das, was in meiner Arbeit passiert, das stelle ich zur Diskussion. Der Typ Haderer ist ein durchschnittlicher Mensch, er hat Familie, lebt in Linz und lässt den Herrgott einen guten Mann sein. Dass seine Arbeit und seine Äußerungen eine Brisanz haben, die er auch persönlich auszutragen hat, das ist klar. Jemand, der Lust hat, an die Grenzen zu gehen, denn nur dort ist es spannend und nur dort kann Leben zu finden sein, der kann auch einmal an die Grenzen der politischen Realitäten geraten. Ich stehe ja in einem lebendigen Umfeld, und ich habe auch persönlich für meine Aussagen Rechenschaft zu geben – und das tue ich.

Wie oft kommt es im Zusammenhang mit Ihren Zeichnungen zu Anzeigen?

Jährlich drei- bis viermal. Und da geht es meist nicht um Politisches, sondern um Zeichnungen zum Leben der Menschen, oft um etwas, was in Richtung Sexualität spielt, auch Soziales im weitesten Sinn. Es hat auch einige Probleme mit dem Presserat gegeben im Zusammenhang mit Covers, von denen ich noch immer glaube, dass ich jeweils im Recht war.

Ein Beispiel?

In einem Fall ging es um Sexismus im Parlament. Irgendjemand hat da eine Frau ganz primitiv verletzt. In der ersten Wallung der Gefühle habe ich ein massives Cover gezeichnet, der hat damals große Wellen geschlagen. Das Ganze hat mit einer Ermahnung dess Presserats geendet. Das war im Übrigen die einzige echte Konsequenz bisher. Es hat noch nie einen Prozess gegeben. Obwohl ich so etwas auch vor Gericht ausfechten würde, denn ich habe nicht vor, Dinge, die ich mir überlegt hab, klammheimlich zurückzunehmen.

Das wichtigste Werkzeug jedes kreativen Menschen ist die Fantasie. Die freilich ist ein loses Luder, das sich nicht um ethische Normen kümmert. Wie oft kollidiert ein zeichnerischer Einfall mit Ihren ethischen Haltungen?

Ich hab in meiner Arbeit eine sehr pragmatische Vorgangsweise gewählt. Ich lasse meine Fantasie laufen, das ist der erste Schritt; man kommt da mitunter zu grotesken Ansätzen und zu überraschenden Bildideen. In diesem Bereich des künstlerisch Kreativen gibt es so gut wie keine Schranken. Der zweite Schritt ist dann der, die Idee auf ihre intellektuelle Haltbarkeit zu prüfen. Ich versuche, das Bild mit meinen realen Erfahrungen in Einklang zu bringen.

Schrecken einen manchmal die eigenen Ideen?

Ja. Aber ich denke, das geht jedem so, der sich künstlerisch äußert, auch jemandem, der schreibt. Man beginnt ja in einer konkreten Situation anzusetzen und denkt die Dinge weiter, mit einer bestimmten Konsequenz, und stellt manchmal fest, dass es – wie nennt man das am besten? – erstaunliche Äußerungen gibt. Und dann sage ich schon. Na, das ist etwas zu viel.

Wie hat man sich den Produktionsprozess vorzustellen? Ruft bei Ihnen beispielsweise „Profil“ an und bestellt 37 mal 30 Zentimeter gegen Fremdenfeindlichkeit?

Genauso funktioniert’s. Ich laufe immer ein bisserl auf Stand-by, immer in Bereitschaft. Ich bin ein Lusttäter und äußere mich unglaublich gern.

Zeichnen als Kommunikationsmittel?

Ja. Im persönlichen Verkehr mit mir gibt’s einen Punkt, da brauch ich einen Stift und ein Stückerl Papier, und dann zeichne ich ein Argument, das ich ganz deutlich ausdrücken will, einfach auf. So bin ich. Wenn jemand anruft von einem meiner Herzblätter, die ich wirklich liebe, und die sagen: Zu diesem Thema hätten wir gern – dann ist der Gedanke schon im Kopf. Die Anregung von außen, die ist freilich unglaublich wichtig, die hat etwas Disziplinierendes – da hab ich einen Termin, ich hab ein Format. In manchen Zeitschriften gibt es einen Rhythmus, den man mit anderen Kollegen teilt. Und das alles zusammen ist eine Struktur, an der ich mich sehr gern anhalte.

Wie schnell liefern Sie?

Beim „Stern“ hab ich wöchentlich eine Zeichnung, und wenn ich einen Anfall krieg, dann kommen drei, vier Blätter hintereinander. Da stelle ich vielleicht fest, das eine Blatt würde ich lieber im „Profil“ sehen, und so kann man das aufteilen. Es gibt aber auch die andere Situation: Da hab ich gar nix und auch keine Lust zu arbeiten, dann muss ich mir überlegen, wie ich damit zurande komme.

Und wie lang ist der Weg von der Skizze zum fertigen Blatt?

Der schwierige Prozess ist der Gedanke zur Skizze, da passiert’s, dass ich in notizhaftem Stil eine ganze Menge an verschiedenen Zugängen festhalte, und einer davon ist mir dann gut genug. Das kann ein, zwei Stunden dauern, mitunter auch zwei, drei Tage.

Nicht so variabel ist die technische Ausführung: Ich arbeite an einem Blatt in DIN A4 zehn bis zwölf Stunden, wenn’s nicht unbedingt um Menschenmassen geht – bei denen hab‘ ich oft die verrückte Lust, sie genau auszuführen, da sitzt man ein bisserl länger. Manchmal beginne ich am Morgen und bin am frühen Abend fertig, oder es kommt die Idee am Abend, dann sitze ich die Nacht über und geh nicht weg davon, denn das ist nicht möglich.

Brauchen Sie den Zeitdruck?

Unbedingt. Ich muss mich davor schützen, dass ich mich verezettle. Sag’s ganz schnell, sag’s ganz deutlich, sag’s so, dass es jeder versteht, fabulier nicht herum! Ich hab’s sehr gern, wenn ich mit dem Rücken zur Wand steh. Ich hab schon dieses Blatt über Sexismus im Parlament erwähnt, da kam der Anruf um 18 Uhr, ich hab gewusst, jetzt muss ich das Blatt machen, das kann man sich nicht gefallen lassen – das ist die Emotion, die einen dazu bringt einzusteigen. Und um vier Uhr früh ist ein Auto gestartet und hat das Blatt nach Wien gebracht.

Kommt es vor, dass Sie genau dieser Zeitdruck zu Bildlösungen zwingt, von denen Sie im Nachhinein nicht überzeugt sind?

Nein, dann liefere ich das Blatt nicht ab.

Es war Ihnen nie im Nachhinein etwas peinlich?

Ich darf mir jetzt natürlich die Zeichnungen, die ich vor 15 Jahren gemacht habe, nicht anschauen. Da hab ich pausenlos danebengegriffen. Aber das macht überhaupt nichts aus. Ich bekenne mich ja dazu, dass von 20 Zeichnungen nur eine gut ist. Ich hab einfach die Verpflichtung, 20 Zeichnungen zu machen, um eine wirklich gute dabei zu haben. Das ist mein Weg. Den Anspruch, jede Zeichnung auf den Punkt zu bringen, hab ich nie gehabt. Aber dieses eine Blatt, das ist mir so wichtig, dass ich dafür riskiere, 20-mal danebenzugreifen. Oder 20-mal belanglos zu sein.

Was geschieht nach der Veröffentlichung mit Ihren Originalen?

Die gehen an mich zurück, werden ab und zu ausgestellt, hin und wieder auch verkauft.

Man hört, Ihre Blätter hätten einen Marktwert von 35.000 Schilling.

Das ist der Galeriepreis, und der ist vor allem in Deutschland schon wesentlich höher. Das Unangenehme ist, dass die Blätter, die für den Verkauf interessant sind, die guten Blätter sind, und die will ich nicht hergeben. Jeder, der von mir eine Zeichnung will, muss mir beweisen, warum er die will, da bin ich einigermaßen sperrig. Es kann passieren, dass einer kommt, der sich für etwas interessiert, und ich stelle fest, ich will nicht haben, dass der ein Blatt von mir in seiner Wohnung hat – dann geht er wieder, schönen Tag, auf Wiedersehen! Richtig verkaufen, das war nie mein Ziel. Es gibt einen großen Safe bei uns, da werden die Blätter gesammelt, alles hat Laufnummern, und meine Kinder freuen sich wahrscheinlich einmal drüber.

Wie reagieren Sie auf Kritik? Wenn einer beim Austeilen nicht zimperlich ist, kann er es sich ja auch nicht leisten, besonders empfindlich zu ein.

Das will man sich auch nicht leisten. Ich bemühe mich, meiner Arbeit gegenüber, mir selbst und meinem ganzen Umfeld gegenüber kritisch zu sein. Ich weiß, dass es ab und zu Kritik gibt, die einfach stimmt, dann wieder wird auch unsachlich kritisiert, aber das hält sich die Waage.

Wie sieht so eine berechtigte Kritik aus?

Es hat jemand in Deutschland über meinen Band „Think positive“ gemeint, es sei kokett, was ich da mache. Ich bringe in diesem Buch Beispiele aus Briefen, die mir Gegner geschrieben haben – und das tue ich, hat ein Kritiker mir vorgeworfen, um zu zeigen, wie brisant ich sei. Wenn’s so aufgefasst wird, dann hat der in der Sache recht. Diese Zeichnungen sind damals heftig attackiert worden, das war die Zeit, in der ich vier Jahre lang für eine oberösterreichische Zeitung gearbeitet hab. Bis in die Nacht hinein hat das Telefon geläutet, ich hab Briefe gekriegt mit schrecklichen Drohungen, und das hat mich sehr beeindruckt – genau in der Zeit, in der das Buch entstanden ist. Und so spontan, wie ich bin, wollte ich das zum Thema machen, das ist passiert, okay, geb ich zu.

Die besagte Zeitung waren die „Oberösterreichischen Nachrichten“.

Ja. Und da kommen wir wieder zurück auf Ihre eingangs gestellte Frage, zu dem Idyll, in dem man lebt, diesem Hinterhalt, wie sie es formuliert haben. Das sehe ich nicht ganz so; ich stehe auch mit meiner Person mitten in der Auseinandersetzung drinnen. Ich bin den „Oberösterreichischen Nachrichten“ nach wie vor zu Riesendank verpflichtet, dass sie es vier Jahre lang durchgestanden haben, jeden Samstag von mir ein Blatt zu veröffentlichen. Ich hab die Zeitung geliebt dafür. Es ist ja nirgends schwieriger, den Mund aufzumachen, als unmittelbar vor der Haustür, dort, wo du dich, wenn du etwas sagst, am nächsten Tag beim Einkaufen dafür rechtfertigen musst. Das ist dauernd passiert.

Sie sind im Supermarkt wegen Ihrer Cartoons attackiert worden?

Nicht nur attackiert; manche haben sich auch gefreut, sind mir um den Hals gefallen. Beides, positiv wie negativ, ist natürlich eine Attacke. Aber dafür hat man einzustehen. Am Schluss hat man dann doch gemerkt, dass dieser Haderer, was seine Themen und seine Aussagen betrifft, irgendwie in das Redaktionsübereinkommen nicht integrierbar ist. Das hat interessanterweise vier Jahre gedauert, und danach ist es ganz schnell gegangen; ich hab mir vorgenommen, nicht mehr als drei Zeichnungen ablehnen zu lassen. Und nach der dritten Ablehnung hab ich gekündigt.

Die betonen oft Ihr gutes Verhältnis zu Linz. Hat das in diesen Jahren gelitten?

Nein, und zwar deshalb nicht, weil ich die Augen immer schon offen gehabt hab. Es war auch nicht so, dass es die Attacken auf meine Zeichnungen waren, die mich gestört haben, sondern etwas ganz anderes: Man hat plötzlich begonnen, die Figur Haderer zu vereinnahmen. Es gab eine ganze Menge Angebote, unzählige Einladungen, und das ist etwas, was ich nicht mag. Ich möchte nicht die Behübschungsfigur für irgendwelche Festeln sein. In diesem Sinne war mir der Ausstieg sehr recht, ich bin jetzt wieder so etwas wie eine Legende.

Was mögen Sie an Linz?

Linz ist für mich ein sehr lapidarer Platz: Ich hab hier meine Familie, meine Kinder, die hier auch integriert sind. Es gibt ein kleines Theater, das man ernst nehmen kann, das Phönix, und es gibt einen vernünftigen Tempel des Zeitgeists, den Posthof, es gibt die Ars Electronica, kulturell passiert schon etwas, was man als frisches, heutiges Leben bezeichnen könnte.

Linz ist für mich eine freiwillig gewählte Klausur. Ich hab nicht vor mich in den Medienszenen New Yorks, Hamburgs oder Wiens herumzutreiben, und ich stehe dem Begriff „provinziell“ durchaus entspannt gegenüber. Ich habe die Möglichkeit, in kurzer Zeit dort zu sein, wo ich gern gesehen werde, habe aber für meine Arbeit eine ziemlich unaufgeregte Umgebung.

Ist diese Heimat für Sie wichtig?

Nein, die ist absolut austauchbar. Ich orientiere mich an Menschen und niemals an Plätzen. Es ist völlig klar für mich, dass ich im Augenblick hier in einer sehr bürgerlichen Situation lebe, meine Kinder sind mir das Wichtigste auf der Welt – neben meiner Liebsten -, und daher brauchen wir so etwas wie vernünftige Verhältnisse.

Irritiert Sie dieses Bürgerliche?

Na ja, es schreckt mich nicht, aber ich weiß, dass es auch andere Existenzformen gibt.

Wann haben Sie Ihre erste Zeichnung mit „Hades“ signiert?

Das war 1984. Ich hab ja eine kleine Geschichte hinter mir, ich bin Werbezeichner gewesen, 12, 13 Jahre lang; ich hab mich dann schon geschämt für diesen ganzen Ramsch. So hab ich immer wieder Comics gezeichnet. Und da gab’s in Salzburg ein sehr kurzfristiges Phänomen: eine satirische Zeitschrift namens „Watzmann“. Ein paar Freunde haben mich dazu motiviert, ein paar Arbeiten in Farbe zu zeichnen, ich hab mir überlegt: Wie signierst du jetzt? „Hades“ war eine Kurzform, die schon aus meiner Schulzeit kommt, und ich habe diesen Beiklang geschätzt: Hades ist gleich Unterwelt. Das hat mir gefallen, und so ist es geblieben.

Die Zeit in der Werbebranche handeln Sie als eine Art dunkles Kapitel Ihres Lebens, endend in einem großen Verbrennungsakt, das liest man in jeder Geschichte über Sie. Warum diese Scham?

Dieses Autodafé, das da immer angesprochen wird, bitte nur nicht zu ernst nehmen! Das war ein Scherz, ein paar Freunde saßen zusammen, wir haben uns zerkugelt über das, was da an Drucksorten entstanden ist aus meinen Zeichnungen, und dann haben wir gesagt, das weg und das weg und das weg, das hatte eine gewisse Leichtigkeit.

Es hat mir einfach irgendwann nicht mehr gereicht, die Scribbles von irgendwelchen Art-Direktoren mit meiner kunstfertigen Hand zu veredeln. Vielleicht hab ich auch die Vision gehabt, dass noch etwas kommen könnte, was mich ein bisschen mehr befriedigt. Und von einem Tag auf den anderen hab ich gesagt: Ich bin nicht mehr zu buchen, ich mach jetzt etwas ganz anderes, ich zeichne nämlich Kunst.

Ich hab damals null Aufträge gehabt, Familie mit zwei Kindern, Häuschen im Grünen, eine klassische Situation, hab gesagt: Ohne Aufträge ist das nicht zu leisten, wir werden das Leben verändern, wir kaufen uns eine kleine Wohnung, damit sind wir unabhängig von den jeweiligen Geldquellen, und ich kann mich austoben. Das war die Inszenierung, die im Jahr 1984 stattgefunden hat.

Sie haben einmal erzählt, Auslöser für den Abschied von der Werbebranche seien Ihre Kinder gewesen – und eine schwere Krankheit. Wahrheit – oder auch nur Inszenierung?

Ich hatte eine Krebsoperation im Jahr 83/84, das hat dazu geführt, dass ich Zeit hatte, fünf Wochen lang nachzudenken, was ich da so treibe. Die Kinder sind damals auch schon ein bisschen älter geworden, so elf, zwölf Jahre, und haben dann beim Vater ständig Zeichnungen vorgefunden und gefragt: Was machst du da? Und ich hab dann nur gesagt: Es geht nur darum, dass ich irgendwelche Süßigkeiten verkauf. Oder Werbung für Kindernahrung. Oder auch für diese ersten LCD-Games, die damals aufkamen, das ist ja eine Volksseuche geworden; auch das hab ich beworben, und dann sind meine Kinder gekommen und ich hab gesagt: Greift das ja nicht an!

Damals haben Sie für die Konsumgüterindustrie gearbeitet, heute arbeiten Sie für die Unterhaltungsindustrie: Was macht das eine für Sie so viel besser als das andere?

Für mich liegt der Unterschied darin, dass ich meinen Platz anders definiere. Die Unterhaltungsindustrie, wenn Sie so wollen, setzt meine Produkte für ihre Zwecke ein, aber ich hab die Möglichkeit, das ein bisserl inhaltlich zu gestalten, und das ist schon was.

Das Produkt Haderer wird allmählich selbst zum Konsumartikel: Es gibt Bücher, Kalender – und wie lange wird es dauern bis es Kaffeehäferln mit Haderer-Cartoons gibt, Zahnbürsten oder Unterhosen?

Das wird so lange dauern, bis einer mir erklären kann, was mich dazu bewegen soll, Unterhosen zu bedrucken. Das ist bisher noch keinem gelungen. Ich hab eine ganze Kollektion bedruckter T-Shirts, Unterhosen und Socken bei mir, wo jeweils irgendwelche Leute aufgetaucht sind und mir erklären wollten, wie klass das wär mit meinen Motiven, aber es ist nie dazu gekommen.

Ein roter Faden in Ihren Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche. Welche Rolle spielt Religion in Ihrem Leben?

Es ist so: Man stellt fest, es gibt zu bestimmten Themen stärkere und weniger starke Reaktionen. Und an den Reaktionen, die ich bisher auf meine Blätter zum Thema Kirche gekriegt hab, bemerke ich: Ich hab immer noch zu milde Aussagen getroffen. Um den Menschen gerecht zu werden, die solche Briefe an mich schreiben, muss ich einfach noch ein Stückerl schärfer werden und muss das nächste Blatt unbedingt machen. Und kaum mach ich was, kommen wieder Briefe, die mich dermaßen anregen, dass das nächste Blatt notgedrungenerweise folgt.

Welche Art von Briefen ist das?

Die Leute schreiben, das, was ich mache, sei Böse, gehöre schlichtweg verboten, das könne man nicht tun. Es gibt dann natürlich auch profundere Äußerungen: Man könne mir beispielsweise beweisen, dass ich im Jenseits dafür büßen werde, völlig rettungslos verfallen bin und so weiter. Na gut, das kann ja schon wieder Thema einer Zeichnung sein, so denkt der Karikaturist. Es ist ein Dialog, den ich da führe.

Wie hat man sich das konkret vorzustellen?

Ich hab da einmal ein Blatt gezeichnet: die Heiligen Drei Könige bei der Krippe. Einer von ihnen telefoniert mit dem Handy und sagt: Zuerst die gute Nachricht – das Kind ist weiß. Und auf dem Bild sieht man, dass das Kind ein Mädchen ist. Da ist es rundgegangen. Das war eine harmlose, eigentlich liebevolle Äußerung zu diesem Thema. Wenn da der Sturm der Entrüstung losbricht und wenn man mir, wie es geschehen ist, schreckliche Krankheiten an den Hals wünscht, dann denke ich mir, wunderbar, ich muss in diesem Dialog weitermachen.

Jenseits der Religion: Woran glauben Sie eigentlich?

Ich hab‘ schon so etwas wie ethische Grundsätze.

Die da wären?

Die will ich jetzt nicht auflisten. Es ist nur so: Ich fühl‘ mich nicht einer Glaubensgemeinschaft verbunden, bin kein konfessioneller Christ, aber es gibt wichtige Werte für mich, die ich in sehr vielen Religionen vorfinde, die ich in sehr vielen Gesellschaftsformen vorfinde.

Die sich auch in Ihren Zeichnungen spiegeln?

Ich denke schon. Ich äußere mich ständig, deklariere mich auch.

Ihre Zeichnungen repräsentieren immer Ihre Überzeugungen?

Immer? Das ist natürlich sehr rigoros überlegt. Aber den Anspruch hab ich schon, dass ich die Aussage persönlich vertreten können muss. Sonst würde ich das nicht tun.

Ist es nicht ein seltsames Gefühl, ein Mensch zu sein, dessen Geschäft die Schlechtigkeit der Welt ist?

Das stimmt ja überhaupt nicht, ich setzte mich ja gar nicht mit der Schlechtigkeit der Menschen auseinander, das ist nicht wahr. Ich hab Liebe und Hass zur Verfügung, eine ganze Bandbreite.

Meinen Sie nicht, Sie wären arbeitslos, wären die Menschen einfach gut?

Das allerdings schon. Wenn alle Menschen authentisch wären, wenn alle Menschen unverlogen wären, wenn alle Menschen mit sich im Reinen wären, dann hätte der Satiriker keinen Ansatz mehr.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 31. Dezember 1998

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