Comics zum Thema Krieg: Menschen? Ein Verbrauchsgut wie Socken

In einer Welt, in der es wieder chic zu sein scheint, das Trennende vor das Gemeinsame zu stellen: Was bedeutet Krieg? Graphic Novels geben Auskunft.

 

Der Krieg sei eben „der Vater aller Dinge“, hört man mar tialische Gemüter gern sa gen. Und gerade jene, die diesen Satz des Heraklit besonders inbrünstig im Munde führen, verbinden sonst mit Heraklit mutmaßlich bestenfalls ein Produkt der Baustoffindustrie. Gleichviel, was immer jener Philosoph des fünften vorchristlichen Jahrhunderts mit seinen im allgemeinen Sprachgebrauch zum simplen Sager verknappten Gedanken tatsächlich gemeint  haben mag: Uns, die wir ein ganzes 20. Jahrhundert lang nur allzu ausführlich erfahren durften, wessen Vater der Krieg vor allem ist, der Vater von x-millionenfachem Tod, von Verderben, Elend, Armut, Niedertracht, uns sollte insbesondere interessieren, wessen Kind denn dieser Vater sei – wollen wir nicht abermals ein Balg wie jenes mit und in uns wachsen lassen, auf dass es uns dereinst zerstört, verschlingt, vernichtet, wie es unseren eigenen Ahnen widerfuhr.

Ist es die Hybris, die Krieg gebiert, nationale Selbstüberhebung, Weltherrschaftswahn? Ist es die atavistische Idee, Konflikte, Probleme ließen sich als Einzelkämpfer besser lösen als mit den je anderen gemeinsam? Manchen mag dieser Tage dazu Donald Trumps America-first-Rhetorik einfallen. Oder das „Kriegskabinett“, das Boris Johnson gerade gegen die EU „in Stellung“ gebracht hat. Oder das nationalistische Drohgefuchtel europäischer Rechts-außen-Provokateure, teils auf dem Sprung zur Macht, teils längst dort angekommen. Von der Wiederkehr des nur allzu gut geläufigen Gegeneinanders ist neuerdings viel die Rede in einer Welt, die sich noch vor Kurzem so viel auf ihr Miteinander zugutehielt.

Andererseits, wie lauten denn, nur so beispielsweise, die ersten Zeilen des „Lieds der Deutschen“? „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt . . .“ Klingt nicht gerade nach Friede, Freude, Eierkuchen. Zugegeben, nicht mehr die erste Strophe Hoffmann von Fallerslebens, nur die dritte ist als Nationalhymne Deutschlands akkreditiert. Aber wer hätte nicht jenes „Deutschland über alles“ im Kopf, während er nett und untadelig von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singt?

Ja nicht einmal die sonst nicht eben national auftrumpfende hiesige Bundeshymne kommt ohne finalen Treueschwur aufs „Vaterland“ aus. Auf dass wir diesem „Vaterland“ und seinen Proponenten am Ende gefälligst treuer seien als uns selbst und den angeblich so christlichen Werten, in deren Sinn man uns erzogen haben will?

Keine Wiederkehr. Was wir an nationalistischen Aufgeblasenheiten dieser Tage erleben, ist keine Wiederkehr – der Ungeist war stets gegenwärtig, bloß unerkannt, als ewiggestrig so lang nicht mehr ernst genommen, bis er mit Macht ins Heute sich zurückreklamierte, um unser Morgen vor sich herzutreiben. Es ist uralter Wein in neuen, feschen Schläuchen, die vielen den abgestandenen Hautgout der Unverbesserlichkeit vergessen lassen. All die Liederbücher, die menschenverachtenden Parolen, der Hass auf das andere und die anderen, sie waren nicht verschwunden, aufgelöst im milden Dunst einer – ohnehin nie stattgehabten – freien, friedlichen Gesellschaft. Stets haben sie uns umgeben: für die einen in ihren repressiv-reaktionären Reservaten Beweis, dass noch gilt, was einst gegolten, für die anderen Versatzstücke einer musealisierten Welt, als historisch wahrgenommen und abgehakt, als hätt’s mit uns nichts mehr zu schaffen. Und doch, es hat! Und wie es hat!

Vor diesem Hintergrund betrachtet, mag es kein Zufall sein, ja ist es nachgerade verdienstvoll, dass unterschiedlichste Comic-Verlage in der jüngeren und allerjüngsten Vergangenheit eine bemerkenswerte Fülle von Neuerscheinungen vorgelegt haben, die auf je sehr eigene Weise dem Thema Krieg gewidmet sind. Am wirkmächtigsten, nicht überraschend, naturgemäß jene, die auf eigenem Erleben gründen. Hier zuvorderst zu nennen: Shigeru Mizukis Report „Auf in den Heldentod!“.

1943, als 21-Jähriger, zum Dienst in der Kaiserlich Japanischen Armee eingezogen, erlebt Mizuki, auf der Pazifikinsel Neubritannien stationiert, in allen erdenklichen wie bis dahin für ihn gewiss unerdenklichen Facetten, was denn dieser Vater Krieg für die daran zwangsläufig Beteiligten bereithält: Seinerseits schwer verletzt – bei einem Luftangriff der Alliierten hat er den linken Arm verloren – verfolgt Mizuki aus der Perspektive der Etappe, wie die Soldaten seiner Einheit in ein deklariertes Selbstmordkommando geschickt werden, das sie freilich unvorhergesehenerweise mehrheitlich überleben. Da jedoch der „glorreiche Tod“ der Männer bereits dem Hauptquartier gemeldet ist, werden sie umgehend neuerlich an die Front geschickt – mit dem Befehl, unter keinen Umständen zurückzukehren. „In der japanischen Armee“, weiß Mizuki später zu berichten, „waren die einfachen Soldaten ein Verbrauchsgut wie Socken. Erst im Tod wurde ihnen die Menschenwürde zuerkannt.“ Wenn er Geschichten über den Krieg erzähle, packe ihn „eine unsagbare Wut“. Und er frage sich, ob diese Wut die der Geister seiner gefallenen Kameraden sei.

Als wären sie schon Geister, lässt Mizuki die Soldaten auch in diesen Krieg marschieren, der gewiss nicht der ihre ist: bloß als Schemen skizziert im scharfen Gegensatz zur detaillierten Präzision, mit der er ihre Umgebung, Topografie, Pflanzenkleid, zeichnerisch erfasst – und, in gnadenlos beklemmender schwarz-weißer Schärfe, ihren Tod. „Auf in den Heldentod!“: ein Meisterwerk, das jetzt endlich, fast ein halbes Jahrhundert nach dem japanischen Ersterscheinen und vier Jahre nach dem Tod ihres Schöpfers, auch auf Deutsch erhältlich ist.

Mehr als 20 Jahre später angesiedelt, mitten im Gemetzel um Vietnam, ist Marcelino Truongs „Ein schöner kleiner Krieg“. Schön? Klein? Truong, Jahrgang 1957, hat das Saigon Anfang der 1960er erlebt, Kind eines Vaters, der, selbst aus Vietnam stammend, nun im diplomatischen Dienst dem südvietnamesischen Regime zuarbeiten muss. Und es ist genau diese Spannung zwischen kindlichem Erleben und dem väterlichen Alltag, die den Duktus seines Berichts von Anfang an bestimmt: hie die – in Wahrheit stets bedrohte – Pseudonormalität eines Wohlstandsghettos der südvietnamesischen Hauptstadt jener Tage, da die brachiale Realität im Land rundum, einem Land, brutal geknechtet von einer Elite, zu der auch Truongs Vater nolens volens gehört.

Truongs Erinnerungen beschränken sich nicht auf die Handvoll Jahre, die er mit Geschwistern und Eltern mitten im Zentrum eines zerbrechenden Regimes verbrachte, ehe sein Vater samt Familie seiner Heimat den Rücken kehrte. Ergänzend greifen sie spätere Diskussionen mit dem Vater auf über die Verantwortung, die ihn als Teil dieses „schönen kleinen Kriegs“ trifft. Und Truong verschweigt auch nicht, was seither in Vietnam geschah. Ergebnis von 20 Jahren Schlachten mit bis zu fünf Millionen Todesopfern: „Die spartanischen Helden von gestern – oder ihre Nachkommen – haben sich in rote Kapitalisten verwandelt. Die Politik ist das Monopol der Partei, und die Partei ist bis ins Mark korrupt. Zum Teufel mit der sozialen Gerechtigkeit. Jeder denkt an sich selbst. Musste es dafür so viele Tote geben?“ Eine Frage, die keine Antwort braucht.

Ein Abenteuer? Als Graphic Novels noch gar nicht wussten, dass sie Graphic Novels sind, in den 1970ern, errichtete der aus Bosnien gebürtige Zeichner Ahmet Muminovic einem Widerstandskämpfer aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf seine Art ein Graphic-Novel-Denkmal: In sechs Episoden griff er Aktionen des Revolutionärs und Partisanen Vladimir Peric (1919-1945) alias Valter im Kampf gegen die deutschen Besatzer auf. Eine Sammlung, die sich zur einschlägig auflagenstärksten Publikation Jugoslawiens entwickelte und in China gar acht Millionen Mal verkauft worden sein soll. So weit, so beeindruckend.

Dass „Valter verteidigt Sarajevo“ in seiner Bildsprache und seiner allzu klischeehaften Zeichnung der Charaktere aus heutiger Sicht eher an simple Actioncomics erinnert, darüber ließe sich im Bewusstsein um die historische Bedeutung der Person wie um Zeit und Ort der Entstehung noch hinwegsehen. Dass aber ein Verlag von heute, Bahoe Books, jener, der die aktuelle deutschsprachige Ausgabe betreut, Valters Partisanenkampf, auf dem Einband werbend, „seine größten Abenteuer“ nennt, „Abenteuer“, die im Übrigen mit dem Tod des Partisanen nur wenige Wochen vor der Kapitulation der Wehrmacht endeten, ist schwer zu ertragen. Abenteuer Krieg? Das erinnert nur allzu deutlich an jenes militaristische Vokabular, dem es entgegenzuwirken gälte.

Im selben Verlag liegt seit einigen Monaten ein weiterer Comic-Beitrag zum Thema Krieg und Widerstand vor. Auch hier liefert eine beklemmende Wirklichkeit die Vorlage: das Massaker am Kärntner Persmanhof, nächst Eisenkappel gelegen, ab 1941 Stützpunkt von Partisanen. Am 25. April 1945 stürmt eine SS-Einheit, mit „Bandenbekämpfung“ beauftragt, den Hof, die Partisanen ergreifen die Flucht, doch elf Zivilisten, davon sieben Kinder, werden ermordet. Ein Kriegsverbrechen, das ungesühnt bleibt: Gegen keinen der SS-Täter kam es je zu einem Gerichtsverfahren. Die Kärntner Autorin Evelyn Steinthaler, für den Text des Bandes „Persmanhof 25. April 1945“ verantwortlich, berichtet vom Geschehen knappest möglich, ungekünstelt, präzis. Eine Präzision, die Verena Loisels Illustrationen mitunter abgeht: zu verwechselbar ihre Personenzeichnung, als dass man nicht immer wieder vor der banalen, doch den Lektürefluss merkbar hemmenden Frage stünde, wen genau man nun vor sich habe.

Noch einmal Widerstandskampf, doch wie ganz anders adressiert: an die Tschechoslowakei des Klement Gottwald nämlich. Anfang der 1950er konstituiert sich rund um die Brüder Ctirad und Josef Masín eine Gruppe Gleichgesinnter, die alsbald mit Sabotageakten und Anschlägen von sich reden macht. Ihr Ziel: das stalinistische Regime zu schwächen. Die Brüder Masín sind einschlägig kampferfahren, haben sie doch schon als Halbwüchsige am Widerstandskampf ihres Vaters gegen die deutschen Besatzer teilgehabt. Unter den neuen Herren freilich sind sie und ihre Familie als Klassenfeinde gebrandmarkt, Freunde und Bekannte fallen dem stalinistischen Terror zum Opfer. In ihrer – wie wir wissen – absurden Hoffnung auf eine baldige militärische Intervention der Amerikaner in Osteuropa überfallen sie Polizeistationen und einen Geldtransport; dass dabei Menschen von ihrer Hand zu Tode kommen, sehen sie als legitim im Partisanenkampf.

Im Herbst 1953 jedoch beschließt ein Teil der Gruppe, sich via DDR in den Westen abzusetzen, um von dort den Kampf fortzuführen. Was darauf folgt, geht als „Tschechenkrieg“ in die Geschichte des Ostblocks ein. Letztlich sind es nämlich Tausendschaften aus Volkspolizei und Sowjetarmee, die Jagd auf die „fünf verdächtigen Ausländer“ in der DDR machen, und dennoch: Nach 31 Tagen Flucht erreichen drei von ihnen, darunter die Brüder Masín, das Ziel, den US-Sektor Berlins. Die beiden anderen allerdings werden aufgegriffen und wenig später hingerichtet.

Der tschechische Autor und Dokumentarfilmer Jan Novák hat 2004 die Geschichte der Familie Masín in seinem Roman „Zatím dobrý“ nachgezeichnet; auf dem dafür gesammelten Material beruht auch seine aktuelle Graphic Novel „Tschechenkrieg“, zu der Jaromír Svejdík, besser bekannt als Jaromír 99, die kraftvollen, holzschnittartigen Illustrationen beigesteuert hat. Dass dabei nicht versäumt wird, bei aller Parteinahme für die Protagonisten auch moralische Fragwürdigkeiten ihres Vorgehens nicht außer Acht zu lassen, gehört wohl zu den wichtigsten Verdiensten, die diesem Band – und Bänden solcher Art – nachgesagt werden kann.

Und heute? Krieg heute? Gerade einmal 14-jährig wird der aus Saudi-arabien stammende Mohammed el Gharani 2001, kurz nach den Anschlägen des 11. September, in Pakistan festgesetzt: unter dem Vorwurf, Mitglied der Terrorgruppe al-Qaida zu sein. Das achtjährige Martyrium, das sich für den Halbwüchsigen in den Lagern von Guantanamo anschließt, bis er endlich die Chance zu einem Gerichtsverfahren erhält, haben der Journalist Jérôme Tubiana und der Zeichner Alexandre Franc nacherzählt: in ihrem Band „Guantanamo Kid“. Ein Dokument von erbarmungsloser Eindringlichkeit.

Wie heißt’s bei Matthias Claudius? „’s ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!“ Dürfen wir das für uns heute auch so ohne Weiteres in Anspruch nehmen?

„Presse am Sonntag“, 4. August 2019

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