Asterix der Adipöse

Jetzt liegt sie vor, die „erste große Überarbeitung“ der „Asterix“-Reihe. „Fit für ein neues Jahrhundert“ soll „Asterix“ jetzt sein, sagt der Verlag. So zeitlos zukunftsfit wie vor 50 Jahren ist er längst nicht mehr.

 

Ein Kunstwerk zu verstümmeln, das ist kein Privileg notorischer Kunstfeinde. Das jüngste Beispiel aus der Kinderliteratur – die „Neger“-Debatte rund um Otfried Preußlers „Kleine Hexe“ – dürfen wir als abermaligen Beleg der Binsenweisheit nehmen, gut gemeint sei eben das Gegenteil von gut. Aber was, wenn es der Künstler selber ist, der Hand anlegt? Comic-Kenner werden sich an den frankobelgischen Westernhelden Lucky Luke erinnern, dem sein Erfinder, der Zeichner Morris, Anfang der 1980er statt der bis dahin allgegenwärtigen Zigarette einen Grashalm in den Mund schob. Das Lob der Weltgesundheitsorganisation blieb nicht lange aus, der freudianisch geschulte Lucky-Luke-Fan dagegen darf bis heute darüber grübeln, welche Störung der oralen Kindheitsphase einen Cowboy dazu verhalten mag, fortwährend an etwas zu nuckeln, was allenfalls sein Pferd interessieren sollte.

Immerhin, so weit hat das Nikotin-Moralisieren Morris nicht getrieben, Ästhetisches zu ignorieren. Lucky Luke, wie er ihn geschaffen hatte, brauchte unstreitig einen Glimmstängel-Ersatz zwischen den Lippen, sonst wäre die Figur, zumal ihr Signet auf jedem Cover, optisch aus dem Gleichgewicht gekippt. Und weil Lutscher, Kugelschreiber und andere jugendgefährdungsfreie Kaugerätschaften im Wilden Westen eher ortsfremd sind, musste offenbar das Gras der Prärie als Zigarettensubstitut herhalten.

Nichtigkeiten, könnte man sagen, im Vergleich damit, was Asterix und seine tapferen Gallier im Lauf der Comic-Jahrzehnte ertragen mussten. Immerhin scheint der Modifizierungsfuror mit der nunmehr vorliegenden „ersten großen Überarbeitung“ zu einem – jedenfalls vorläufigen – Ende gekommen zu sein. Alle 34 Alben seien jetzt „einheitlich koloriert“, freut sich der Verlag, als wäre Uniformierung hehrstes Ziel irdischer Kunstbemühung. Demselben Verlag ist freilich gleichzeitig wurscht, dass die Aufeinanderfolge der Bände in der deutschsprachigen Ausgabe nach wie vor nicht der des französischen Originals entspricht. Was einige schmerzhafte Diskontinuitäten im Personal nach sich zieht: Das Hündlein Idefix beispielsweise ist in Band zwei („Asterix und Kleopatra“) schon da, bleibt dann zunächst verschollen, taucht wieder auf, verschwindet wieder, um in Band sechs („Tour de France“) seinem Obelix überhaupt erst zuzulaufen. Von parallel zu beobachtenden – scheinbaren – Brüchen in der zeichnerischen Entwicklung der Figuren erst gar nicht zu reden.

Richtig, bei Comics kommt es auch ein bisserl auf die Optik an. Und da hat sich in den vergangenen „Asterix“-Dezennien Verwunderliches ereignet: Wo vor allem in den frühen Bänden einst ganze Panels bloß in ein, zwei Farben getaucht waren, huldigt man heute bunter Detailverliebtheit. Was nicht ohne Folgen bleibt: Die Reduzierung der Mittel, ursprünglich vor allem Zeitnot und Produktionsdruck geschuldet, brachte dort, wo es galt, die Handlung anzutreiben, Dynamik und Konzentration aufs Blatt; jetzt plätschert der Fortgang derselben Ereignisse behäbig dahin, weil sich im Grunde alles gleich bleibt; das Wechselspiel aus einfacher und üppiger gestalteten Sequenzen, vormals hie Beschleunigung, da Verlangsamung signalisierend, fehlt spürbar. Dazu kommt, dass etwa ein in schlichtes Rot getauchtes Bild sehr viel besser Aggression und Erregung zu vermitteln vermag als noch so penibel der Wirklichkeit entlang gewählte Kolorierung. Das neue Lettering trägt maßgeblich zur unerwünschten Entschleunigung bei: Dass es hübscher anzusehen ist als die Schreibmaschinen-Typografie von ehedem, darüber wird sich rasch Einigkeit erzielen lassen. Den Lesefluss hingegen bremst es auch dort, wo vieles, nur gewiss kein Retardieren anzustreben wäre.

All das geschieht nicht, wie man meinen könnte, unter der Ägide wild gewordener Verleger, Erben oder Epigonen, sondern unter den – angeblich – wachsamen Augen jenes Albert Uderzo, der gemeinsam mit dem Texter René Goscinny Nachschlagewerken rund um den Globus als „Asterix“-Erfinder gilt. Hat da einer sein eigenes Werk nicht verstanden? Welches ästhetische Konzept wäre es, alles zu tun, nur weil man es tun kann?

Was aus dem kleinen, widerständigen Gallier geworden wäre, hätte Uderzo viel Zeit und keinen Goscinny an seiner Seite gehabt, lässt sich leicht an den Bänden ab Nummer 25, jenen nach Goscinnys frühem Tod, 1977, ablesen – und an den von Uderzo neu gestalteten Covern: ein fettes, faules Schenkelklopfer-Funny, mehr Obelix als Asterix gewissermaßen – und sicher kein Meisterwerk. „Fit für ein neues Jahrhundert“ soll „Asterix“ jetzt sein, sagt der Verlag. So zeitlos zukunftsfit wie vor 50 Jahren ist er längst nicht mehr.

„Die Presse“, „Spectrum“, 2. März 2013

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