„Mein erster Wiener Freund war ein Ägypter“

Regisseur aus Tel Aviv, derzeit Wien-Landstraße: Airan Berg.


Tel Aviv, Wien, Boston, New York, Salzburg, Berlin, Bali, Singapur – und immer wieder Jerusalem: Stationen im Leben eines Mittdreißigers, Stationen im Leben des Regisseurs Airan Berg, der heute – wieder – die meiste Zeit des Jahres in Wien lebt und, was Wunder, seine Theatergruppe „Theater ohne Grenzen“ nennt: „Das hat mit meiner Lebensphilosophien zu tun, sowohl geografisch als auch formal, von der Arbeit her, dieser beständige Versuch, Grenzen zu überwinden, international zu arbeiten. Das öffnet die Köpfe. Auch in Bezug auf die Stadt hier.“

„Die Stadt hier“ kennt Berg seit 25 Jahren „Ich bin in Tel Aviv  geboren. Und als ich elf war, 1972, hat mein Vater eine Arbeit in Wien übernommen, für eine israelische Import-Export-Firma, und die Familie ist mitgegangen. Entscheidend für den Ortswechsel sei gewesen, dass der Vater „eine starke Verbundenheit zum deutschsprachigen Kulturraum“ empfinde: „Er ist in der Nähe von Prag geboren, ist deutschsprachig aufgewachsen und ist dann mit seiner Familie, da war er noch ein Kind, vor den Nazis nach Palästina geflüchtet.“ Die Familie der Mutter komme aus der Slowakei: „Die wollten schon lange nach Palästina ziehen, das wurde dann durch die Umstände der Zeit nur beschleunigt. Die Eltern meines Vaters dagegen wären wohl geblieben, wenn nicht die Nazis gekommen wären.“

Die erste Begegnung mit Österreich wird für den Elfjährigen zum „großen Schock“: „Es hat im Sommer geregnet, das kannte ich überhaupt nicht. Es gab kein Meer. Und ich hab die Leute nicht verstanden. Die österreichische Gesellschaft ist auch viel verschlossener, wohl wetterbedingt. Es findet nicht so viel auf der Straße statt. Wir haben in Pötzleinsdorf gewohnt, und in dieser Anlage konnte man nur eine ganz bestimmte Zeit auf einem ganz bestimmten Fleck Rasen ein bisschen spielen.“

Zugleich sei Österreich freilich auch „ein Abenteuer“ gewesen: „Wir haben Reisen gemacht, es gab nicht nur salziges Wasser, die Landschaft war ganz anders, die hohen Berge. In Israel, durch diesen Kriegszustand damals, konnte man ja nirgendwohin. Man musste immer fliegen. Heute kann man nach Jordanien und nach Ägypten. Aber damals? Dieses Gefühl von Freiheit hier, das war ganz stark.“

Airan Berg besucht die amerikanische Schule in Wien – und macht da eine Erfahrung, die für ihn zu einer Art Schlüsselerlebnis wird: „Mein erster Wiener Freund war ein Ägypter, zu einer Zeit, in der Israel und Ägypten noch verfeindet waren. Menschen in Israel, denen ich davon erzählt habe, haben sich gewundert, dass das überhaupt möglich ist. Aber ich habe gelernt.“

Nur einmal, da habe es zwischen ihm und seinem ägyptischen Freund „eine merkwürdige Zeit“ gegeben „während des Jom-Kippur-Kriegs 1973“: „Da haben wir kein Wort miteinander gewechselt, weil die Spannung so groß war. Und gleich als der Krieg vorbei war, haben wir wieder ganz normal miteinander reden können.“

Nach Abschluss der Schule übersiedelt Berg in die USA: „Alle meine Freunde aus der amerikanischen Schule sind auf Unis in Amerika gegangen, alle meine Freunde waren in der Gegend von Boston, also musste ich auch dorthin.“ Mit einem Job in einem Software-Haus finanziert sich Berg seine Theaterausbildung an der Brown University. Es folgen: Mitarbeit an einem „Sechs-Millionen-Dollar-Broadway-Flop“ unter Harold Prince – „Da hab` ich gleich gesehen, wie’s nicht geht“ – und schließlich die Rückkehr nach Österreich, „weil das amerikanische Visum abgelaufen ist“.

Via Salzburger Festspiele kommt Berg 1986 ans Burgtheater, in einer Zeit, in der alle Welt Österreich plötzlich nicht mehr mit Mozart, Strauss und Lipizzanern zu verbinden scheint, sondern einzig mit einem Namen: Kurt Waldheim. „Ich hatte überhaupt kein Bewusstsein dafür, was es bedeutet, Jude zu sein“, erinnert sich Berg. „Diese Frage hat sich im Zug der Waldheim-Debatte zum ersten Mal gestellt. Auch durch die Reaktion auf diese Debatte. Ich bin nicht traditionell jüdisch erzogen worden, ich habe in Israel als Israeli gelebt, das ist ja ein säkularer Staat, kein religiöser, ich hatte wenig Wissen über Religion. Wir essen nicht koscher, wir fahren Auto am Samstag. Ich glaube, das Einzige, was ich mit dem Judentum im Zusammenhang mit mir assoziiert habe, ist der Humor. Erst seit der Waldheim-Debatte ist mir bewusst, dass ich ein jüdischer Mensch bin.“

Mittlerweile hat Airan Berg seine eigene Theatergruppe gegründet. Seine Schwester, fünf Jahre jünger, ist nach Israel zurückgekehrt. Seine Eltern sind in Wien geblieben. Ob auch er bleiben wird? „Ich habe mich noch nie mit einer Lebensplanung beschäftigt. Ich versuche, jeden einzelnen Tag zu meistern, das ist Aufgabe genug.“ Als „großen Verlust an Lebensqualität“ empfinde er allerdings, „dass die Wiener Gesellschaft sich immer mehr verschließt, immer weniger Interesse zeigt, sich für das Neue, das Andersartige einzusetzen“.

Seine Heimat jedenfalls sei weder Israel noch Österreich: „Es ist mir auch egal, mit welchem Reisedokument ich unterwegs bin, ob mit einem österreichischen oder mit einem anderen Pass. Mein Heimatgefühl bezieht sich immer auf Menschen, nicht auf Orte.“ Sieht man von einer Ausnahme ab – Jerusalem: „Dort ist alles so verdichtet, die Religionen, das Alte und das Neue, das ist für mich die schönste Stadt der Welt. Jerusalem zeigt, dass – trotz aller Schwierigkeiten – ein Zusammenleben möglich ist; vielleicht ist Jerusalem für mich das Symbol für das Multikulturelle schlechthin.“


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 21.Juni 1997

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