Katharina Greves „Prinzessin Petronia“: Denn ewig währt am längsten

Wenn man Saint-Exupérys Kleinen Prinzen zum Cousin hat: Katharina Greves Comic „Die dicke Prinzessin Petronia“ ist eine respektlos irdische Travestie von überirdischer Vergnüglichkeit.

 

Seine Verwandtschaft kann sich bekanntlich niemand aussu chen. Entsprechend geht es uns auch mit unseren Nächsten: Wie gern sähen wir sie mitunter aus dieser Nähe möglichst weit entfernt. Was sich schon aus Gründen des Selbstschutzes empfiehlt. Schließlich weist jede Kriminalstatistik die meisten Gewalttaten dem engsten Familienkreis zu. Und selbst wenn’s nicht gleich handgreiflich wird: Allein die beständige Referenz auf irgendwelche viel erfolgreicheren Teile der Sippschaft – Motto: Nimm dir ein Beispiel! – lässt mit der Zeit selbst im bestmeinenden Gemüt manifeste Abneigungen wachsen, fallweise sogar Mordgelüste wuchern.

Nicht auszudenken, was es bedeutet, innerfamiliär eine alles überstrahlende Berühmtheit auszufassen. Society- und Kulturnachrichten sind voll von Söhnen, Töchtern, die an den Erwartungen krachend scheitern. Familienbande bedrängen auch Prinzessin Petronia. Die Tochter Königin Petrolias I. zu sein, ihres Zeichens, nicht mehr und nicht weniger, Herrscherin über das ganze Universum, wäre schon schlimm genug. Doch viel schlimmer ist, Antoine de Saint-Exupérys Kleinen Prinzen zum Cousin zu haben. Dass dieser in Petronias Vorstellungswelt beharrlich als „kleiner Schleimer“ figuriert, erzählt schon viel darüber, wie wir uns die Prinzessin auch sonst imaginieren dürfen: als antagonistischen Gegenentwurf zum ätherisch der Welt enthobenen Prinzenpendant. Petronia ist dick, missgünstig, meist schlecht gelaunt, arrogant, unleidlich – kurzum: eine von uns. Und all jene, denen die „Der Kleine Prinz“-Weisheiten ohnehin als gefühlige Salbaderei erschienen, können sich entspannt zurücklehnen: Da ist jemand, der so denkt wie sie – und keinen Augenblick daran glaubt, man sehe nur mit dem Herzen gut. Diese Petronia ist eine, die sich einzig und allein auf ihre Augen verlässt. Die deutsche Cartoonistin Katharina Greve, Jahrgang 1972, hat die Figur der „dicken Prinzessin Petronia“ erdacht. Was sie daraus entwickelt, ist stupend. Ausgangspunkt des Plots: Von den Eltern aus dem Palast „outgesourct“, findet sich Petronia als einzige Bewohnerin auf einem Kleinstplaneten ausgesetzt, dem „mickrigsten und langweiligsten Klumpen im Universum“ – in unmissverständlicher Anspielung auf die Geschichte ihres „blöden Cousins“. Nur dass selbst dessen bescheidene Himmelsheimstatt noch immer deutlich komfortabler wirkt als die ihre.

Erweiterter Kosmos. Einseitenfolge für Einseitenfolge, ursprünglich publiziert in der Schweizer Zeitschrift „Das Magazin“, lässt sich nun in dem Sammelband beobachten, wie Greve den Comic-Kosmos mit Witz, Kreativität und Feingefühl für Nuancen der Charakterisierung erweitert. Da wäre zunächst – ein Geburtstagsgeschenk der königlichen Eltern – Mirco, der Multifunktionswurm, der zum Sprungseil geradeso taugt wie zur Erzeugung von Wurmlöchern; durch die ließe sich – Science-Fiction-Aficionados kennen das – sogar prächtig kreuz und quer durchs All reisen, wären Ihre prinzesslichen Gnaden um die Mitte nicht – wie soll man hoheitskompatibel sagen? – zu kräftig gebaut. Dann das Praktikum zur Vorbereitung auf künftige Thronfolgerinnenpflichten, vom Kaffeeholen für die Königinmutter bis zur kosmischen Supermarkteröffnung. Nicht zu vergessen der Meteor, den Petronia aus dem Strom der Perseiden fängt, um ihrem Zwergplaneten einen Mond zu schaffen – und der nach nicht einmal einer Umkreisung an ihrem Hinterkopf zerschellt.

Nicht nur, dass Greve sich in ihrer Bildsprache am Formen- und Farbenkanon Saint-Exupérys orientiert, sie streut in ihre grafischen Shortest Storys auch allerlei Lebensweisheiten von nachgerade interstellaren Dimensionen ein: „Merke: Ewig währt am längsten.“ Oder: „Obacht! Das Weltall kann Spuren von Erdnüssen enthalten!“ Und bang dürfen wir uns mit der Prinzessin fragen, was wir uns alle schon allein in stillen Mondnächten gefragt haben: „Wonach die Ursuppe wohl geschmeckt hat?“ Zwischendurch allerdings, als Haltepunkte im vergnügten Gedränge höheren Unfugs, finden sich auch Sentenzen, denen nachzusinnen lohnt. Etwa: „Staub – das sind die Zinsen des Daseins.“ Oder: „,Intelligentes Leben‘ – vielleicht doch ein Widerspruch in sich?“ Als genderbewusst erweist sich Petronia, wo sie ihr Zugeschriebenes mit männlichen Entsprechungen engführt: „Wenn ich ein Junge wäre, würde das Universum denken, ich wäre nicht herrschsüchtig, sondern durchsetzungsstark, nicht kaltherzig, sondern rational, nicht vorlaut, sondern selbstbewusst, nicht altklug, sondern gebildet!“. Da hat sie recht.

Was auf den ersten Blick wie eine leicht hingeworfene Travestie erscheint, erreicht in solchen Momenten eine Tiefe, wie sie nur die besten Produkte der heiteren Kunst auszeichnet. Und die umso nachhaltiger wirkt, weil sie sich jenes Pathos enthält, das so oft noch so kluge Einsicht an den Rand des Kitsches treibt. Prinzessin Petronia meint’s ehrlich, doch keineswegs immer ernst. Typisch Kunstfigur, könnte man sagen: Bei realen Herrschern verhält es sich regelmäßig umgekehrt.

„Presse am Sonntag“, 30. Juni 2019

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