Kästchen oder keine Kästchen: Daran scheidet sich Erfolg von Misserfolg im Comic á la francophonie. Das erfährt der Finne Ville Ranta und berichtet, was ihm nie gelungen ist: „Wie ich Frankreich erobert habe“ – mein Comic des Monats im April 2025.
Zu den bedeutendsten Leistungen österreichischer Beschönigungspolitik zählt es, der Welt weisgemacht zu haben, Beethoven sei Österreicher und Hitler Deutscher. An dieser seltenen Umkehrung der Verhältnisse in Sachen Definitionsmacht, nämlich dass ein deutlich kleinerer Staat einem größeren desselben Sprachraums seinen Imagewillen aufzwingt, mag mancherlei mitbeteiligt gewesen sein: sein Teil jedenfalls trägt gewiss dazu bei, dass sich Österreich seit je mit dem Nimbus als Kulturnation umgibt, während Deutschland spätestens seit Bismarcks Tagen der unangenehme Odeur eines aggressiven Militarismus anhängt.
Ganz anders liegen die Dinge im frankophonen Raum. Nicht nur Agatha Christies Privatdetektiv Hercule Poirot hat allen Grund, sich darüber zu beschweren, fortwährend für einen Franzosen gehalten zu werden, wo er doch Belgier ist. Egal ob Jacques Brel, Georges Simenon, René Magritte oder César Franck, sie alle sind unseren Köpfen als Franzosen eingeschrieben, wiewohl sie in Belgien ihren Geburtsort hatten.
Noch schlimmer steht’s um die Geschichte der sogenannten neunten Kunst. Nicht Frankreich ist die Wiege des frankophonen Comics, Belgien ist es: Namentlich der aus Etterbeek bei Brüssel gebürtige Hergé definierte mit seinen „Aventures de Tintin“ schon in der Zwischenkriegszeit jenen Stil, der für den Comic des französischsprachigen Gebiets späterhin gleichsam Trademark wurde – die „Ligne Claire“, eine auf wenige, dafür umso deutlichere Linien konzentrierte Zeichensprache, der eine ebenso klare, leicht fassliche Dramaturgie der Erzählungen entspricht.
Dennoch, auch wenn man heute vom frankobelgischen Comic spricht, rangiert franko vorne und belgisch eben hinten: Deutlicher könnte man’s nicht sagen. Und es sind keineswegs Fragen einer ästhetischen Leistungsfähigkeit, die dabei primär zum Ausdruck kommen, vielmehr nicht zuletzt die schnöde Marktmacht einer Verlagslandschaft, die von Namen wie Dargaud, Dupuis oder Delcourt dominiert wird: allesamt mit Sitz in Paris.
Was Wunder also, dass sich ein armer, kleiner Zeichner aus dem armen, kleinen Finnland nichts sehnlicher wünscht, als im Comicwunderland Frankreich Fuß zu fassen? Womit wir bei Ville Rantas Band „Wie ich Frankreich erobert habe“ angelangt wären. Das heißt, so arm und klein ist Herr Ranta genauso wenig wie seine nordische Heimat, die hat sich schließlich eben erst abermals als glücklichstes Land der Welt erwiesen (wohingegen die selbsternannte Grande Nation im Glücklichkeitsranking der Universität Oxford nur auf Rang 33 rangiert, ganze 16 Ränge hinter Österreich übrigens). Gleichviel: Für Ranta ist Frankreich das gelobte Comicland, so viel Erfolg kann er bei sich zu Hause gar nicht haben.
Ob ihn die Erfahrungen, die er nunmehr auf 160 Comicseiten rapportiert, von seiner Frankomanie geheilt haben, ist nicht mit erforderlicher Gewissheit dem Band zu entnehmen. Wenn nicht, dann muss er wohl der Kategorie „unheilbar“ zugeordnet werden. Rantas Bilanz seiner Frankreicherfahrungen wird in ihrer kritischen Schärfe nur durch leichtfüßige Pointierung und sehr viel Selbstironie abgemildert: Sie erinnert allerdings an die Einsichten eines Süchtigen, der ganz genau um die Absurdität seiner Lage weiß und doch vom „Stoff“ nicht loskommt.
Kurz zu Ranta selbst: 1978 in Oulu geboren, der nördlichsten Großstadt der Europäischen Union, wandte er sich erst nach einem Studium der finnischen Sprache und Literatur seinem heutigen Broterwerb zu – eben der Zeichnerei. Wobei gerade von Broterwerb in diesem Zusammenhang zu Beginn nicht wirklich die Rede sein konnte: Mochten die Alben und Graphic Novels, die er ab Anfang der 2000er vorlegte, auch in seiner Heimat Beachtung finden, ein angemessener monetärer Niederschlag solchen immateriellen Erfolgs wollte sich nicht recht einstellen. Erst als Ranta 2006 mit einem Comic, veröffentlicht in einem finnischen Kulturmagazin, auf die Mohammed-Karikaturen-Kontroverse reagierte, begann sich seine finanzielle Situation zu konsolidieren: Finnische Zeitungen entdeckten sein Potenzial als politischer Karikaturist, was ihm seither ein angenehmes Auskommen ermöglicht.
Und auch in seiner ureigenen Domäne, dem Comic eben, schien sich aufs Erste mit dem Jahr 2006 eine Wende zum finanziell Besseren einzustellen: Niemand Geringerer als Lewis Trondheim lud Ranta ein, zu einem von ihm selbst verfassten Text die Bilder zuzuliefern. Als der Band, „Célebritiz“ betitelt, bei Dargaud erschien, sah Ranta den Weg zu einer Zukunft unter den Fittichen eines französischen Großverlags geebnet. Allein, „Célebritiz“ blieb ein Einzelstück: Nicht dass Ranta seither nicht mehr in französischer Sprache verlegt worden wäre, doch ausschließlich bei Kleinverlagen, wie er selbst einen in seiner Heimat gegründet hat, nie mehr bei einem der verlegerischen Platzhirschen im frankophonen Comicrevier.
Anders gesagt: Ville Ranta kann sehr genau erzählen, wie und warum er Frankreich nicht erobert hat. Und exakt das tut er auch in jenem Band, dessen Titel voll Ironie exakt das Gegenteil signalisiert. Ergebnis ist eine Art autofiktionaler Schlüsselroman voller Seitenhiebe auf den französischen Großverlagsbetrieb und seine Hauptakteure. Und egal ob Lewis Trondheim oder die großen Verlagsherren (ja, Herren, nicht auch nur eine Dame), die Ranta in den Tagen nach „Célebritiz“ begegnet sind, sie alle werden sich wiedergefunden haben, als Rantas Band im französischen Original – und unter einem anderen Titel, „Succès, mode d’emploi“ (Erfolg, eine Bedienungsanleitung) – 2021 erschienen ist: übrigens in einem der wohl traditionsreichsten Alternativverlag der französischen Szene, den Editions Rackham.
Dass Ranta die handelnden Personen nicht beim richtigen Namen nennt, erklärt er in einem Interview mit dem „Comics Journal“ schlüssig: „Ich habe Dinge ergänzt, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Deshalb habe ich die Namen geändert.“ Wobei die Pseudonyme nichts und niemanden verbergen sollen: „Sie dienen nur als Hinweis an den Leser, dass nicht alles Beschriebene reine Fakten sind.“ Zur Distanzierung von den realen Hintergründen trägt nebstbei nicht unwesentlich bei, dass sämtliche Player der französischen Comicszene Vogelköpfe tragen. Womit zugleich ins Bild gerückt ist, wie wertvoll und bedeutsam ihr Gegacker und Gezwitscher nach Meinung Rantas einzuschätzen ist.
In einer Schlüsselszene des Bandes etwa erläutert ein gewisser Léon Choukri, was Ranta fehlt, um in Frankreich zu reüssieren. Er verfüge zwar über eine „tolle, eigene Handschrift“, nur: „Du musst Kästchen verwenden! Hierzulande ist das Publikum daran gewöhnt.“ Aus Verlagssicht sei sein kästchenloser Stil eben „ein Risiko“. Kästchen oder nicht Kästchen, daran also entscheidet sich Erfolg oder Misserfolg in Mainstream-Frankreich.
Interessant in diesem Zusammenhang, wer sich hinter jenem geheimnisvollen Monsieur Choukri verbirgt. Es handle sich, so Ranta im „Comics-Journal“-Interview, um Joann Sfar, einen der unstreitig bedeutendsten Comickünstler der Gegenwart. Und zudem einen, der Rantas Stil bis heute unverkennbar prägt: jedes Panel als wäre es nur hastig hingeskribbelt, erst die Skizze vor dem finalisierten Endprodukt.
Freilich, Sfars Hinweis sei, folgt man Ranta, sehr viel weniger einfältig gewesen, als er aufs Erste scheinen mag: „Er hat versucht, mir dabei zu helfen, meine Karriere voranzutreiben.“ Was heißt: „Er wusste, wenn ich bei Dargaud oder Casterman veröffentlichen wollte, musste ich in einem mehr dem Mainstream entsprechenden Stil arbeiten. Er hatte recht, aber ich ignorierte seinen Rat.“
Unnötig zu erwähnen, dass Ranta selbstredend auch in seinem Frankreich-Bashing-Band auf Kästchen oder etwaige Comics-in-einfacher-Sprache-Anbiederungen verzichtet. So mäandriert der Erzählfluss immer wieder durchaus verwegen durch Zeit und Raum, als gelte es, der Zumutung einer linearen Dramaturgie erst recht eins auszuwischen.
Über aller realsatirischer Auseinandersetzung mit der französischen Comicszene und ihren Gockeleien vergisst Ranta allerdings auch nicht, was er selbst mit seinem Beharren auf einer durchaus fragwürdigen Idee von Erfolg namentlich in seiner Familie angerichtet hat. „Was ich gern verschwiegen hätte“ ist ein Kapitel überschrieben, das seine eigenen Untiefen und den Umgang mit seinen Nächsten in den Mittelpunkt rückt. „Es ist offensichtlich, dass mein Denken sehr egoistisch ist“, gibt er selbst zu Protokoll. „Ich würde lügen, würde ich behaupten, es sei nicht schwierig, eine Familie mit einer Existenz als Künstler zu kombinieren.“
Dass sich der große Durchbruch beim breiten Publikum Frankreichs noch immer nicht eingestellt hat, rückt Ranta gleichfalls auf mehreren Seiten ins Bild: bei Signierstunden in französischen Buchläden, zu denen niemand erscheint. Zu seinem Verleger habe er einmal gesagt, so Ranta, er bedaure es, nicht wie Riad Sattouf eine Kindheit im Nahen Osten gehabt zu haben, denn hätte er die gehabt, würde er mehr Bücher verkaufen. Eine Kindheit zwischen Terror, Krieg und Repression als Preis für den Erfolg, den zu bezahlen Ranta geneigt wäre: Ist das nun ein besonders pointiertes Stück Übertreibungskunst – oder vielleicht gar Beleg für ein ins Vermessene getriebenes Karrierebegehren?
Ersparen wir uns und Ville Ranta Mutmaßungen welcher Art immer: Die hätten womöglich das Zeug dazu, unsere Begeisterung für dieses so persönliche wie kritisch-kräftige Stück Comicliteratur doch noch zu trüben.
Der Comic des Monats im April 2025
Ville Ranta
Wie ich Frankreich erobert habe
Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat.
160 S., € 20.
(Reprodukt, Berlin)