Schwanger mit 17? Ja darf denn das sein? Wanda Dufner erzählt, wie es für sie war. Wenn Wirklichkeit ins Absurd-Lächerliche kippt: „Bauchlandung“, mein Comic des Monats im Juni 2025.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Und was genau wäre denn überhaupt unter dieser Wirklichkeit zu verstehen? Es sind tiefe Fragen, die Menschen mit viel Tagesfreizeit und Mut zu letztgültigen Gedanken umzutreiben pflegen. Die Wirklichkeit, mit der Wanda Dufner einst zurechtzukommen hatte, ließ nicht viel Raum für Philosophie: Es war die Wirklichkeit einer 17-Jährigen, die einen positiven Schwangerschaftstest in Händen hielt. Eine Wirklichkeit, die, mittlerweile ins Halbwüchsige herangewachsen, heute mit Wanda Dufner die Wohnung teilt.
„Bauchlandung“ hat die Comicautorin aus dem Aargau die Geschichte ihrer Teenagerschwangerschaft überschrieben, und dass es in weiten Teilen tatsächlich ihre eigene Geschichte ist, wird Leser und Leserin schon auf den ersten Seiten offenbar: So, wie Dufner ihr Alter Ego, Noemi genannt, vorstellt, kann gar nichts anderes als Selbsterfahrung sein, was sie zu berichten hat. Das hässliche Entlein, ebenso gestört in ihrer Beziehung zum eigenen Körper wie überzeugt, ohnehin unfruchtbar zu sein, als das Dufner ihre Noemi skizziert, hat nichts von dem an sich, das man klischeehalber mit Teenagerschwangerschaft in eins setzen würde. Diese Noemi, die ist viel zu wahr, um erfunden zu sein.
Sie habe das Buch ursprünglich als Autobiografie herausbringen wollen, gibt Dufner denn auch im Gespräch mit dem Zürcher „Tagesanzeiger“ zu Protokoll. Die Entscheidung, die Geschichte mit einer fiktiven Figur zu erzählen, habe ihr allerdings beim Erzählen viel Freiraum gegeben: „Ich bin eine ruhige Person, die im realen Leben nicht immer mutig ist und ihre Meinung sagt. Noemi hingegen kann und darf das.“ Was freilich der Authentizität dessen, was hier verhandelt wird, keinen Augenblick Abbruch tut. Vielfach scheint Dufner einfach, was sie sich in Wirklichkeit mutmaßlich bloß gedacht hat, ihrer Noemi in die Sprechblasen gelegt zu haben. Und was sie an Überhöhung im Dienst der Dramaturgie für erforderlich hielt, ist von der Drastik dessen, was ihr real widerfuhr, mutmaßlich ohnehin kaum zu unterscheiden.
Das beginnt schon damit, dass ausgerechnet Noemi, das von den Ergebnissen der Pubertät weniger erfreute, denn vielmehr gestresste Mauerblümchen, als Erste ihrer Klasse Mutterfreuden entgegensieht, was sie, bis dahin unter Mitschülerinnen und Mitschülern in der Schublade „Unberührt und unberührbar“ abgelegt, einigermaßen unvermittelt zur bestaunten (wenn nicht sogar beneideten) Femme fatale avancieren lässt.
Und apropos Mutterfreuden: Wie viel die Erwachsenenwelt rund um sie von derlei Freuden hält, wird sie rasch gewahr anlässlich des Entsetzens, das sie mit ihrem Bekenntnis verbreitet, durchaus geneigt zu sein, das Kind entgegen vielfacher Erwartung aufzuziehen, statt es womöglich abzutreiben. Gleichzeitig ist es ebendiese Erwachsenenwelt, Eltern, Lehrer, allerlei mitmenschliches Personal, das sich mit moralischen Vorhaltungen aller Art nicht sparsam zeigt und im Übrigen weniger um die Befindlichkeit der werdenden Mutter, denn um ihre eigene besorgt scheint. Was Noemi, ohnehin nicht gerade überzeugt, den Herausforderungen einer maternalen Zukunft auch nur annähernd gewachsen zu sein, noch tiefer in existenzbedrohende Verunsicherung stürzt.
Ironischerweise ist es ausgerechnet die tief katholische Großmutter, die als Einzige Freude über den ins Haus stehenden Nachwuchs zeigt und Noemi nach Kräften unterstützt. Auch das kein dramaturgischer Kniff, vielmehr erlebtes Leben. Positiv habe nur ihre Großmutter reagiert, bestätigt Wanda Dufner im Gespräch mit dem „Spiegel“: „Sie kam lachend auf mich zu – das hat mich irritiert, denn sie war sehr katholisch. Aber sie sagte: ,Ein Kind kommt, und ich darf das noch erleben!‘“
Und der Kindsvater? Der zeigt sich – gleichviel ob bei Wanda oder Noemi – sehr wenig geneigt, Verantwortung zu übernehmen, und entzieht sich, wo auch immer er sich entziehen kann. Was heißt: so ziemlich in allen Belangen außer in jenem, biologischer Auslöser all der Verwirrungen gewesen zu sein, die sich da begeben. Es ist und bleibt der unstreitig fundamentalste Geschlechterunterschied, dass es nicht die Männer sind, die Kinder auf die Welt zu bringen haben; und ob diese Fortüne regelmäßig durch eine noch so übergroß gedachte Gnade der Mutterschaft aufzuwiegen ist, darf ebenso unstreitig bezweifelt werden.
Die neun Monate Chaos, innerer wie äußerer Konfusion, Existenz bar jeden festen Grunds unter den eigenen Füßen, von denen Wanda Dufner auf 400 Seiten minuziös Bericht legt, hätten das Zeug, eine aggressive Anklage abzugeben – gegen eine Mit- und Umwelt, die von sich behauptet, nur das Wohl des anderen im Aug zu haben, und nichts anderes als das eigene im Auge hat, gegen Scheinheiligkeit, Feigheit, Selbstbezogenheit bar jeder Empathie.
Als all das lässt sich Dufners „Bauchlandung“ auch lesen, aber eben nicht nur als das. Schon der Titel weist auf das Komische hin, das Dufner den verhandelten Grimmigkeiten immer wieder zugesteht. Da mag die Distanz der Jahre durchaus entspannend gewirkt haben – und zudem wohl die Erfahrung, dass sich die Dinge ja keineswegs so katastrophal entwickelt haben, wie es mancherlei selbsternannte Prognostiker ursprünglich wissen wollten.
Immer wieder generiert Dufner noch aus Momenten, die für sich genommen bestens geeignet wären, irreparable Traumata zu hinterlassen, jenen Witz, der an dort entsteht, wo Wirklichkeit ins Absurd-Lächerliche kippt. So hoffnungslos kann Noemis Lage gar nicht sein, dass sie durchgehend einzig ernst wäre. Dazu trägt wesentlich ein Stil bei, der düstere Realität in knallbunte Farben kleidet, als wäre alles bloß ein poppiger Fiebertraum, die monströse Übersteigerung, mit der man ihr entgegentritt, genauso wie die ihr eigenen Schreckensvisionen Ergebnis eines Drogentripps, der kein Ende nehmen will.
Mittlerweile scheint, was sich ehedem begeben hat, für Wanda Dufner weitgehend abgeschlossen zu sein. Und wen würde es verwundern, hätten daran nicht zuletzt vier Jahre Entwicklung ihrer Geschichte zur Graphic Novel einen beträchtlichen Anteil. „Das Schreiben hat mir die Kontrolle über diese Zeit zurückgegeben. Ich konnte nicht nur Ordnung, sondern auch meine Sichtweise in die vielen schwierigen Situationen bringen“, weiß sie heute zu berichten. Und: „Ich habe mehr Selbstmitgefühl entwickelt und konnte das Schuldgefühl etwas loslassen. Ich merkte, dass ich eine große Leistung vollbracht und während der Schwangerschaft viel durchgemacht hatte. Ich war damals ja noch ein Kind.“
Ob sich auch Vorteile aus ihrer frühen Schwangerschaft ergeben hätten? „Als junge Mutter hatte ich keine Sorgen darüber, was alles mit einem Kind geschehen kann und ob es gesund sein würde.“ Nun ja, derlei soll unter komfortableren Umständen auch zu haben.
Der Comic des Monats im Juni 2025
Wanda Dufner
Bauchlandung
Geschichte einer Teenagerschwangerschaft.
400 S., € 35
(Edition Moderne, Zürich)