90 Jahre Donald Duck: Donald forever! Donald forever?

Was für ein Vogel! Wenn der Erpel mit Ziegenstimme spricht: Donald Duck – von den Anfängen eines Antihelden, der zum Comic-Mythos wurde.

Die Donalds dieser Welt hatten es auch schon leichter. Wie schön waren die Tage, da sie ihren Namen allenfalls mit einer Comicfigur von zweifelhaftem Charakter (und unzweifelhafter Menschenfreundlichkeit) assoziiert sahen und noch nicht mit orangefarbenen Haarsträhnen, zu viel Make-up und einem Anklagenkatalog von Finanzbetrug bis Verschwörung!

Nun, der Donald, von dem an dieser Stelle vor allem die Rede ist, zeichnet sich vor jenem anderen nicht zuletzt dadurch aus, dass wir uns mit ihm nur als Fiktion, nicht als Realität auseinandersetzen müssen. Andererseits, wer weiß? Könnte es nicht sein, dass uns diese Fiktion über die Realität mehr erzählt, als uns womöglich lieb ist?

9. Juni 1934. In US-Kinos feiert ein knapp acht Minuten langer Zeichentrickfilm aus der Werkstatt Walt Disneys Premiere, der Ausgangspunkt einer Weltkarriere ohnegleichen wird. „The Wise Little Hen“ heißt er, sein Inhalt kreist in bester amerikanischer Family-Values-Euphorie um die Segnungen von sozialem Zusammenhalt, Rechtschaffenheit und Fleiß, personifiziert durch die titelgebende weise Henne samt Kükenanhang.

Um derlei zu exemplifizieren, braucht’s dramaturgisch notwendigerweise auch das Gegenteil: Da wäre der grunzfaule Peter Pig – und vor allem ein hysterischer Erpel im Matrosenanzug, dessen einziger Beitrag zum Gemeinwohl sich auf entrüstetes Geschnatter beschränkt ob der Zumutung, etwas arbeiten zu sollen. Sein Name? Erraten, Donald Duck.

Nun, wir wissen: Gutes Timing ist alles auf dem Weg zum Erfolg. Und das Timing spielt dem verschrobenen Vogel perfekt in die Flügel: Wenige Jahre davor hat Mickey Mouse seinen Einstand im Dienste Walt Disneys gefeiert, nur dass sich der Handlungsspielraum des penetrant guttätigen Nagers nur allzu bald als eher eingeschränkt erweist. Ihm eine etwas weniger ernsthafte und nicht zuletzt etwas weniger untadelige Figur an die Seite zu stellen, kann nicht schaden – und da kommt Donald Duck gerade recht.

Kein halbes Jahr nach „The Wise Little Hen“ steht er Seite an Seite mit seinem mittlerweile schon berühmten Maus-Kollegen auf der Bühne, um Waisenkinder mit einer Art Vaudeville-Show zu erfreuen. Und dass ihm schon bei diesem, seinem erst zweiten Auftritt, im Kurzfilm „Orphan’s Benefit“, die Schlusspointe überlassen bleibt, weist bereits den Weg in seine Zukunft: So voller Fortüne wird kein anderer ewiger Verlierer je wieder sein.

Mit dem Zeichner Carl Barks, heute allgemein als „Vater der Ducks“ geläufig, hat all das zunächst gar nichts zu tun: Der hat zu diesem Zeitpunkt bei Disney noch gar nicht angeheuert. Und auch die Figur, mit der er wie niemand anderer verbunden ist, erinnert anfangs nur entfernt an das Aussehen, wie es längst globale Trademark ist: kleinere Augen, sehr viel längerer Schnabel, insgesamt vom Habitus her näher an der ornithologischen Verwandtschaft als an unsereinem. Dieser Ur-Donald, von Art Babbitt und Dick Huemer für „The Wise Little Hen“ entworfen, wird in den anschließenden Monaten, Trickfilm für Trickfilm, in dem er seinen Auftritt hat, von Disney-Animateur Dick Lundy weiter-, neu- und umgeformt – und das nicht nur dem Äußerlichen nach, sondern auch in seiner inneren Charakteristik. Nicht zuletzt verantwortlich dafür, in welche Richtung die Entwicklung der Figur geht: jene Stimme, die bis heute mit Donald verbunden ist wie Matrosenanzug und kecker Bürzelschopf – die eines gewissen Clarence Nash.

Der hat sich in seiner Kindheit auf der Farm seiner Eltern einen ganzen akustischen Zoo in die Kehle trainiert, und kurioserweise ist es ausgerechnet der Tonfall seiner Ziegenstimme, der den Studioverantwortlichen bei Disney schlichtweg ideal für ihren explosiven Erpel scheint. Dieses unausgesetzte Krächzen und Quäken, in das sich nur da und dort Brocken von Sprache mogeln, regen ihrerseits wiederum Dick Lundy in Sachen Donald an: „Ich lauschte der Stimme auf der Tonspur und beschloss, dass er eine Art Angeber war. Wenn ihm etwas in die Quere kam, wurde er wütend und ging die Wände hoch.“ Nebst vielen anderen überraschenden Details nachzulesen in einem Geburtstagsheft, das dieser Tage bei Egmont Ehapa erschienen ist.

Kurz nach seinem ersten Filmauftritt setzt auch die Verwertung Donalds jenseits der Lichtspieltheater ein: Bereits 1934 wird „The Wise Little Hen“ zum Comic umgestaltet. Und es sind abermals andere, die damit beauftragt sind: Der Zeichner Al Taliaferro und der Texter Ted Osborne tragen das Ihre dazu bei, aus dem Leinwandhelden einen auf Papier zu formen – und damit jenes Medium für ihn zu erobern, das heute längst als seine eigentliche Bestimmung wahrgenommen wird.

1937 folgen erste eigene Donald-Duck-Comicstrips in US-Zeitungen, gleichfalls von Taliaferro und Osborne verantwortet. Und ein Anfänger in der Disney’schen Trickfilmabteilung liefert immer öfter erst Gags, dann ganze Szenen von außen zu: Carl Barks. Jener Carl Barks, der wenig später aus einer Einzelfigur mit exzellentem Potenzial letztlich den Mythos Duckburg, zu Deutsch Entenhausen, macht.

Der Rest ist Comicgeschichte. Eine Comicgeschichte, die mittlerweile ein halbes Telefonbuch an Nach- und Weiterschöpfern füllt, welche bis heute an der Saga der Ducks weiterstricken. Eine Comicgeschichte also, die nicht von Einzelnen, sondern im Zusammenwirken vieler geschrieben wurde. Was sie von den meisten anderen Geschichten unterscheidet, die sich um Entstehung und Fortwirkung singulärer Kreationen ranken (und zwar nicht nur die der Comickunst): Ob Asterix, Lucky Luke, Batman oder Superman, hinter keinem von ihnen steht zuallererst ein Team, sie alle verdanken auktorialem Schaffen ihren Beginn. Und keiner von ihnen hätte je ertragen, wozu Donald Duck vom ersten Tage an berufen ist: nicht den Sieg, vielmehr die Niederlage als eigentliche Bestimmung seiner Existenz auf sich zu nehmen.

Die dunklen Seiten, die so vielen Heldenfiguren erst im Lauf langer Jahre mühsam angedichtet werden müssen, um ihren Charakteren ein Stück weit Tiefe zu bescheren, bei Donald Duck sind sie seit je Kernkompetenz: mieselsüchtig, überheblich, notorisch streitsüchtig wie notorisch knapp bei Kasse, weil notorisch ohne Nahverhältnis zur Werktätigkeit. Gewiss, so sind wir nicht. Nicht immer. Aber dann und wann eben doch – und jedenfalls sehr viel öfter, als wir strahlende Triumphatoren wider jede noch so hohe Wahrscheinlichkeit sind. „Donald ist alles, er ist jeder“, so sah es Carl Barks. Und: „Er macht dieselben Fehler, die wir alle machen. Er ist manchmal ein Schurke, immer aber hat er, wie jeder, mit den Tücken des Alltags zu kämpfen, und ich glaube, dass das einer der Gründe ist, warum die Leute die Ente mögen.“ Kurz: Es gebe „wohl niemanden in den Vereinigten Staaten“, der sich nicht mit Donald identifizieren könne.

Fürwahr ideale Voraussetzungen dafür, eine politische Karriere anzustreben, möchte man meinen. Und tatsächlich: Schon im Juli 1936 sieht man „Donald Duck for President“ auf das Cover des „Mickey Mouse Magazine“ plakatiert. Dieser Tage wiederum kursieren T-Shirts mit nämlichem Schriftzug im Internet. Alles Scherz? Gewiss. Aber hat man das nicht vor Jahren auch in einem ganz anders gelagerten Donald-Fall geglaubt? Und unter uns: Welcher Donald würde uns im Weißen Haus wohl lieber sein?

Wolfgang Freitag, „Die Presse am Sonntag“, 9. Juni 2024

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